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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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und auch ansonsten ausgehfertig war.
    »Tut mir leid«, sagte sie dann und hangelte sich um mich herum, um einige Ketten in der Auslage zurechtzurücken, obwohl ich genau an der Stelle schon zweimal aufgeräumt hatte. »Es ist bloß so . . . Ich habe nun einmal eine ganz spezielle Vorstellung davon, wie die Dinge sein müssen, weißt du?«
    Ja, ich wusste. Harriet hatte ihre Firma ganz allein und von Grund auf aufgebaut, unmittelbar nach ihrem Abschluss an der Kunstakademie; es war nicht leicht gewesen, sie musste oft ziemlich kämpfen, um durchzukommen, ihre eigenen künstlerischen Ansprüche dafür mehr als einmal hintanstellen und war trotzdem fast pleitegegangen. Aber sie hatte sich hartnäckig durchgebissen, nur sie gegen den Rest der Welt. Wahrscheinlich fiel es ihr deshalb so schwer, sich daran zu gewöhnen, dass wir nun zu zweit waren.
    Ich versuchte ja, Verständnis dafür aufzubringen, aber ihre Macken (sie folgte mir auf Schritt und Tritt, kontrollierte alles, was ich tat, machte es natürlich gleich noch einmal und besser, riss sämtliche Arbeit an sich, sodass ich gelegentlich ganze Schichten damit verbrachte, untätig rumzuhängen) nervten manchmal so sehr, dass ich mich ab und zu fragte, warum sie mich überhaupt engagiert hatte. Eines Tages, nachdem sie mich stundenlang nichts anderes hatte machen lassen, als Staub zu wischen, sprach ich sie darauf an.
    »Möchtest du die Wahrheit wissen?«, fragte sie. Ich nickte. (Was sonst?) »Mir wächst alles über den Kopf. Ich komme mit den Aufträgen nicht mehr nach, mit der Buchhaltung erst recht nicht und bin eigentlich bloß noch kaputt. Würde ich mir nicht ständig Koffein einflößen, wäre ich wahrscheinlich längst tot.«
    »Dann lass mich dir doch helfen.«
    »Ich
versuch’s
ja.« Sie nahm einen Schluck aus ihrem unvermeidlichen Kaffeebecher. »Aber es fällt mir total schwer. Wie ich dir gleich zu Anfang sagte, war ich immer ein Ein-Personen-Unternehmen. Auf diese Weise bin ich für alles verantwortlich, das Positive wie das Negative. Und ich habe Angst, wenn ich die Kontrolle auch nur ein Stück weit aufgebe . . .«
    Ich wartete geduldig, dass sie weitersprach. Doch sie schwieg, deshalb ergänzte ich behutsam: ». . . verlierst du alles.«
    Sie blickte mich perplex an. »Ja!«, erwiderte sie. »Woher weißt du das?«
    Ich hatte nicht vor, mehr von mir preiszugeben als unbedingt nötig. »Gut geraten, schätze ich«, antwortete ich daher ausweichend.
    »Diese Firma, diese Boutique ist das Einzige, was ich je hatte, das nur mir gehört«, meinte sie. »Ich habe eine Höllenangst, dass etwas Schlimmes damit passiert.«
    »Ja«, sagte ich, während sie noch einen Schluck Kaffee trank. »Aber Hilfe anzunehmen heißt nicht, dass man komplett die Kontrolle aufgibt.«
    Und das ausgerechnet von mir. Hörte ich etwa auf meine eigenen, guten Ratschläge? Eher nicht. Andererseits, wenn ich an die zurückliegenden Wochen dachte   – dass ich überhaupt bei Cora geblieben war, mich auf Jamies Vorschlag mit den College-Bewerbungen eingelassen hatte   –, vielleicht tat ich es doch. Wie mir gerade bewusst wurde.
    Harriet war so besessen von ihrer kleinen Firma, dass sie, zumindest soweit ich es beurteilen konnte, nicht die Spur eines Privatlebens hatte. Tagsüber arbeitete sie im Laden, fuhr abends direkt heim und blieb bis zum Morgengrauen auf, um neuen Schmuck zu machen. Vielleicht führte sie genau das Leben, das sie führen wollte. Doch es gab Menschen, die das ganz klar anders sahen.
    Vitamin-Reggie beispielsweise. Wenn er sich etwas zu essen holte, kam er unweigerlich vorbei, um zu fragen, ob sie irgendetwas brauchte. Hatten weder er noch wir gerade Kunden, trieb er sich vorzugsweise in dem breiten Gang zwischen unseren beiden Läden herum, um Schwätzchen zu halten. Sobald Harriet sagte, sie sei müde, bot er ihr Vitamin- B-Komplex -Pillen an, und wenn sie nieste, zog er das Echinacea schneller aus der Tasche als ein Cowboy seinen Colt beim Duell. Eines Tages, nachdem sie darüber geklagt hatte, dass sie sich nichts mehr merken konnte, und er daraufhin prompt einen Spezial-Kräutertee sowie Ginkgo-Tabletten bei ihr ablieferte, sagte sie zu mir: »Wahnsinn, wie nett er immer ist. Keine Ahnung, warum er sich so bemüht, mir zu helfen.«
    »Weil er auf dich steht«, antwortete ich.
    Sie wandte sich mir ruckartig zu, so verblüfft war sie. »Wie bitte?«
    »Er steht auf dich«, antwortete ich langsam und zum Mitschreiben, obwohl das so klar war wie

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