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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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nicht mehr weit. Und wenn ich die ganze Zeit über auf mich gestellt gewesen wäre, hätte ich ihn nicht bloß heute allein zurückgelegt, sondern jeden Tag. Doch während ich den Parkplatz überquerte, sah ich plötzlich Olivia vor mir: Wie sie bei meinem Spind vor mir gestanden hatte, mit diesem widerstrebenden, fast widerwilligen Gesichtsausdruck, weil sie niemandem etwas schuldig bleiben wollte, weil ihr Quittsein entschieden lieber war. Es fühlte sich schon sehr merkwürdig an, wenn man wusste, dass man jemandem etwas schuldete. Jemandem auf diese Weise und möglicherweise darüber hinaus verbunden war. Noch merkwürdiger war es allerdings, sich darüber bewusst zu sein, dass man diesen Zustand nicht mochte, und sich trotzdem dabei zu ertappen, dass man sich immer weiter darauf einließ. Indem man beispielsweise absichtlich, aber unauffällig seine Schritte verlangsamte, damit es aussah wie der reine Zufall, wenn jemand anderer einen etwas atemlos einholte und den Rest des Wegs mit einem zusammen zurücklegte.
    ***
    Auf dem Bild standen ziemlich viele Leute auf einer breiten Veranda. Ihrem Äußeren nach zu urteilen   – die Männer hatten Koteletten und trugen Hemden mit grellen Blumenmustern,die Frauen wallende Kleider und lange Mähnen   –, war es wahrscheinlich in den Siebzigern aufgenommen worden. Im Vordergrund saßen ein paar Kinder im Schneidersitz, die Erwachsenen hatten sich lässig dahinter gruppiert. Ein kleiner Junge streckte die Zunge heraus, zwei Mädchen in der ersten Reihe hatten Blumen im Haar. In der Mitte saß eine junge Frau in einem weißen Kleid, rechts und links flankiert von zwei älteren Damen.
    Insgesamt waren es wohl fast fünfzig Personen; einige sahen einander ähnlich, andere ähnelten niemandem sonst. Einige blickten stur geradeaus in die Kamera und lächelten etwas künstlich, andere lachten ungezwungen und guckten durch die Gegend oder auch einander an, als wäre ihnen nicht einmal bewusst, dass sie soeben fotografiert wurden. Man hatte den Eindruck, der Fotograf hätte an irgendeinem Punkt aufgegeben, seine Schäfchen zu disziplinieren, stattdessen einfach auf den Auslöser gedrückt und aufs Beste gehofft.
    Ich fand das Foto auf der Küchentheke, als ich herunterkam. Nahm es mit zum Tisch, legte es neben meinen Teller und betrachtete es, während ich frühstückte. Zwanzig Minuten später kam Jamie in die Küche. Statt die Zeitung und mein Horoskop zu studieren, schaute ich noch immer das Bild an.
    »Ah, du hast die Anzeige gefunden.« Er steuerte schnurstracks auf die Kaffeemaschine zu. »Was hältst du davon?«
    »Das ist eine Anzeige?«, fragte ich. »Wofür?«
    Er trat an die Küchentheke und wühlte zwischen ein paar Unterlagen herum. »Um genau zu sein: Das ist nicht die Anzeige. Sondern das hier.«
    Er legte ein Blatt Papier vor mich hin. Oben auf der Seite war das Foto abgebildet, das ich betrachtet hatte; darunterstand in fett gedruckter Schreibmaschinentype »ES GEHT UM FAMILIE«. Und wiederum darunter ein zweites, aktuelles, also in der Gegenwart aufgenommenes Gruppenfoto, lauter Leute zwischen Zwanzig und Dreißig, die sich am Rand eines Football-Spielfelds (so sah es jedenfalls aus) versammelt hatten. Die meisten trugen T-Shirts und Jeans, einige hatten die Arme umeinander gelegt, andere reckten die Hände in die Höhe   – ganz offensichtlich hatten sie gemeinsam etwas zu feiern. Die Bildunterschrift lautete »ES GEHT UM FREUNDE«. Und dann war da noch ein drittes Foto: ein Computerbildschirm voller winziger Rechtecke mit lächelnden Gesichtern. Als ich genauer hinschaute, fiel mir auf, dass es sich um dieselben Personen handelte wie auf den anderen beiden Fotos, nur waren sie ausgeschnitten, auf ein Maß zurechtgestutzt und in Reihen neben- sowie untereinander angeordnet worden. Unter diesem dritten Foto stand: »ES GEHT UM VERBINDUNGEN: UME.COM«.
    Während er mir das Konzept erklärte, blickte Jamie mir über die Schulter: »Einerseits werden unsere Leben immer individueller und unabhängiger voneinander   – wir haben alle unsere eigenen Telefone, Handys, E-Mail -Konten. Andererseits benutzen wir genau diese Dinge, um miteinander zu kommunizieren. Das ist die Idee hinter der Kampagne. Freunde, Familie . . . alles Gemeinschaften, zu denen wir automatisch gehören, die wir zum Teil aber auch selbst mitbegründen. Und UMe hilft einem dabei.«
    »Wow«, meinte ich.
    »Tausende von Dollar wurden an die Agentur überwiesen«   – beim Sprechen schnappte

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