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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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müssen alle im Partnerlook erscheinen?«
    »Bei uns daheim haben wir früher immer Klamotten angezogen, die aufeinander abgestimmt waren.« Gedämpft drang seine Stimme unter dem Tisch hervor. »Meine Mutter hat Pullover in denselben Farben für uns gestrickt. Dann haben wir uns auf der Treppe oder neben dem Kamin oderwo auch immer aufgestellt und ein Gruppenfoto für unsere Karte gemacht. Wir setzen also bloß eine alte Familientradition fort.«
    Ich blickte Cora beschwörend an, meine Lippen formten zwei Worte: »Tu was!« Sie nickte, hob beschwichtigend die Hand.
    Jamie krabbelte wieder unter dem Tisch hervor, mit Roscoe im Arm, der nicht besonders glücklich wirkte und jetzt schon wie wild auf seiner roten Fliege herumbiss. Cora sagte: »Trotzdem frage ich mich, ob es nicht auch ein ganz normales Foto tun würde. Oder vielleicht eines nur von Roscoe?«
    Jamie blickte sie enttäuscht an. »Du möchtest gar keine Karte mit uns allen?«
    »Nun ja . . .« Sie warf mir einen Blick zu. »Anders als bei euch . . . ich meine, wir kennen so etwas nicht, Ruby und ich. Bei uns zu Hause lief alles ein bisschen anders, verstehst du?«
    Was natürlich die Untertreibung des Jahrhunderts war. Ich hatte ein paar vage Erinnerungen an die Weihnachtfeste, als meine Eltern noch zusammen waren. Doch als mein Vater uns verließ, nahm er jegliche Festtagsfreude meiner Mutter gleich mit. Im Gegenteil, auf die Dauer wurde Weihnachten bei uns echt mühsam, etwas, wovor man sich fürchtete oder es zumindest ätzend fand, anstatt sich darauf zu freuen. Es wurde grundsätzlich zu viel gesoffen, es war grundsätzlich zu wenig Geld da, und weil ich wochenlang Ferien hatte, war ich wochenlang mit meiner Mutter zusammengesperrt, und zwar ganz allein. Ich wette, niemand war so froh über Silvester und Neujahr wie ich.
    Jamie blickte auf Roscoe hinunter, der die rote Fliege über und über besabbert hatte und mittlerweile auf demHemdsärmel herumkaute. »Aber genau deshalb habe ich es doch so vor.«
    »Was meinst du?«
    »Ich meine dich«, antwortete er. »Ich mach das alles für dich. Das heißt, natürlich meine ich Ruby
und
dich. Weil ihr so etwas früher nicht hattet. Und ihr habt etwas verpasst, das schwöre ich euch.«
    Ich warf Cora einen Blick zu. Wartete darauf, dass sie in unserem Sinne dagegenargumentierte. Doch sie sah Jamie bloß unverwandt an. Ich hätte schwören können, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Mist.
    »Weißt du was?« Roscoe würgte ein wenig Fliege hervor. »Du hast vollkommen recht.«
    »Bitte was?«, fragte ich.
    »Es macht garantiert Spaß.« Sie wandte sich mir beschwörend zu. »Außerdem steht dir Blau sehr gut.«
    Schwacher Trost, echt. Vor allem eine Woche später, als ich mit Roscoe auf dem Schoß vor dem Teich hockte und krampfhaft Richtung Kamera blickte, wo Jamie mit dem Stativ und dem Selbstauslöser hantierte. Cora, im Jeanshemd, hockte neben mir und warf mir einen entschuldigenden Blick nach dem anderen zu. Ich ignorierte sie hartnäckig. Sie
und
die Blicke. »Versuch bitte, ihn zu verstehen«, meinte sie halblaut. Roscoe leckte mir das Gesicht ab. »So ist er eben. Dieses Haus, das Gefühl von Sicherheit, unser ganzes Leben hier . . . Immer wollte er mir geben, was ich vorher nicht hatte. Eigentlich total liebevoll.«
    »Es geht los!« Jamie raste auf uns zu, um sich auf Coras anderer Seite zu platzieren. »Aufgepasst. Eins, zwei, . . .«
    Bei drei klickte die Kamera. Und klickte gleich noch einmal. Niemals, nicht in einer Million Jahren, dachte ich, als ich später die Bilder sah. Stapelweise lagen sie nebenden noch unbeschrifteten Umschlägen auf der Küchentheke. »FRÖHLICHE WEIHNACHTEN UND EIN GUTES NEUES JAHR WÜNSCHEN DIE HUNTERS« stand darauf. Und wenn man das Foto oberflächlich betrachtete, hätte man beinahe auf die Idee kommen können, dass ich dazugehörte. Mitsamt blauem Jeanshemd und so weiter.
    Ich war allerdings nicht die Einzige, die aus ihrem behaglichen Trott gerissen wurde. Ungefähr eine Woche später stand ich vor meinem Spind, kurz bevor es zur ersten Stunde klingeln würde. Merkte plötzlich, dass sich jemand zu mir gesellt hatte. Noch während ich mich umdrehte, rechnete ich damit, Nate zu sehen, den einzigen Menschen, mit dem ich in der Schule regelmäßig ein paar Worte wechselte. Doch zu meiner Überraschung stand Olivia Davis neben mir.
    »Du hattest recht«, sagte sie. Kein Hallo oder Wie-geht-es-dir?. Andererseits hatte sie mich ohne ihr unvermeidliches Handy am Ohr

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