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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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gelesen. Da steht, dass man ihn in diesem Verhalten bloß bestärkt, sofern man ihn jedes Mal, wenn er durchdreht, hochhebt oder tröstet.«
    »Dir wäre es also lieber, wenn wir einfach danebenstehen bleiben und zuschauen, wie er einen Schock nach dem anderen erleidet?«
    »Natürlich nicht«, antwortete Jamie.
    Cora legte ihre Waffel hin, tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. »In dem Fall müssen wir einen Weg finden, wie wir seine Ängste wahrnehmen und gleichzeitig   –«
    »Cora!« Jamie legte die Zeitung weg. »Er ist ein Hund,kein Kind. Es geht hier nicht um Wahrnehmung, Selbstwahrnehmung oder Selbstbewusstsein. Sondern bloß um einen pawlowschen Reflex. Okay?«
    Cora sah ihn einen Augenblick bloß stumm an. Dann schob sie ihren Stuhl zurück, stand auf, trat an die Arbeitsfläche und ließ ihre Teller laut scheppernd in den Spülstein gleiten.
    Während sie die Küche verließ, stieß Jamie einen schweren Seufzer aus und rieb sich mit der Hand übers Gesicht. Ich nahm mir erneut das Familienporträt vor, begann fast automatisch, es noch einmal genau zu betrachten: die unterschiedlichen Gesichter, von denen einige lächelten, andere nicht; die Haltung der beiden älteren Frauen, die wie sanfte Königinnen wirkten und direkt in die Kamera blickten. Jamie, der mir gegenübersaß, hockte derweil einfach nur da und starrte hinaus in den Garten, zum Teich.
    »Mir gefällt die Anzeige«, sagte ich schließlich. »Sie hat definitiv was.«
    »Danke«, meinte er geistesabwesend.
    »Bist du auch auf dem Foto?«, fragte ich.
    Er warf über den Tisch hinweg einen Blick darauf, schob seinen Stuhl zurück, stand auf. »Nein. Das war vor meiner Zeit. Die im weißen Kleid ist meine Mutter. An ihrem Hochzeitstag.«
    Er verließ den Raum. Mein Blick wanderte noch einmal zu dem Foto. Zu der Frau in der Mitte des Bildes. Ich registrierte, wie glücklich und gelöst sie wirkte inmitten all dieser vielen Menschen. Ich hatte keinen Schimmer, wie es wohl wäre, eine von ihnen zu sein. Nicht nur Eltern und Geschwister zu haben, sondern auch jede Menge Cousinen und Cousins und Tanten und Onkel, eine ganze Sippe, zu der man gehörte   – und die zu einem gehörte. Vielleicht kamman sich in der Menge ja verloren vor. Vielleicht aber auch geschützt. Was auch immer, eins stand jedenfalls fest: Man war nie allein, egal, ob es einem passte oder nicht.
    ***
    Eine Viertelstunde später wartete ich in der Eingangshalle   – weil es dort wärmer war   – darauf, dass Nate vor unserem Briefkasten anhalten würde. Da klingelte das Telefon.
    »Cora?«, meinte die Anruferin, ohne Hallo zu sagen.
    »Nein«, antwortete ich, »hier ist   –«
    »Ach so, Ruby, hi!« Eine aufgekratzte Frauenstimme. »Denise. Coras ehemalige Mitbewohnerin   – wir haben uns auf der Party kennengelernt . . .?«
    »Klar. Hi.« Ich wandte beim Sprechen den Kopf, denn Cora kam gerade mit ihrer Aktenmappe die Treppe herunter.
    »Wie geht’s?«, fragte Denise. »Alles okay in der Schule? Ist bestimmt eine gewaltige Umstellung, wenn man woanders neu anfängt. Aber Cora meinte, es wäre nicht das erste Mal, dass du die Schule wechselst. Ich bin mein ganzes Leben lang nie umgezogen, habe immer an einem Fleck gewohnt, was auch nicht viel besser ist, weil man   –«
    »Hier kommt Cora«, fiel ich Denise ins Wort und hielt Cora den Hörer hin. Sie langte soeben am Fuß der Treppe an.
    Cora nahm mir das Telefon aus der Hand. »Hallo?«, sagte sie. »Ach, hi. Ja. Um neun.« Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr. »Ja, mach ich.«
    Ich ging zu dem Fenster neben der Haustür und blickte hinaus. Es sah Nate überhaupt nicht ähnlich, zu spät zu kommen. Und wenn, lag es meistens an Gervais, der den Betrieb aufhielt, weil er morgens Mühe hatte, aus dem Bett zu kommen. Es war schon vorgekommen, dass seine Mutter ihn buchstäblich zum Auto hatte schleifen müssen.
    »Nein, alles in Ordnung«, sagte Cora gerade. Sie war einige Schritte den Flur entlanggegangen, aber nicht sehr weit. »Hier ist gerade alles nur ein wenig angespannt. Ich rufe dich später an, okay? Danke, dass du daran gedacht hast. Ja. Tschüs.«
    Sie legte auf, das Telefon piepte kurz. Als ich mich zu ihr umwandte, meinte sie: »Hör mal, wegen vorhin und meiner Bemerkung über die Hochzeit . . . ich wollte dich nicht verletzen oder dass du dich sonst irgendwie unwohl fühlst.«
    »Kein Thema«, antwortete ich. Das Telefon klingelte erneut. Cora blickte aufs Display. Nahm ab.
    »Hallo Charlotte.

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