Abraham Kann Nichts Dafür. 66 Neue Satiren.
Deinen ist meine Seele schon zu sehr beladen.«
»Wie bitte?« erkundigen sich die heisere und die besorgte Stimme erschöpft, aber unisono. »Was will denn der Kerl eigentlich von uns?«
In diesem Moment gesellt sich eine vierte Stimme zu unserem Trialog:
»Hallo«, ruft eine Telefonistin. »Hier Zentrale.«
»Scheren Sie sich zum Teufel!« platzt dem Besorgten der Kragen. »Verduften Sie aus der Leitung, Sie Vollidiot!«
Da wirft uns das Fräulein von der Zentrale endlich alle aus der Leitung. Shakespeare hat sich wieder einmal bewährt.
Schlangengrube
Sich durch eine Menschenschlange hindurchzukämpfen ist eine raffinierte Kunst.
Einlaß in einen Tempel der Bürokratie zu erlangen, vor dem sich eine lange Menschenschlange formiert hat, bedarf eines gerüttelten Maßes an Einfallsreichtum.
Dieses Problem zu bewältigen ist also nicht jedermanns Sache. Ich kenne nur einen einzigen Menschen, der in dieser Disziplin ein echter Meister ist:
Mein Freund Jossele.
»Die Sache ist so einfach wie eine bilaterale Ohrfeige«, klärte mich Jossele auf, »und so alt wie die Bibel. Übrigens von daher habe ich die Idee. Du erinnerst dich doch, wie unser schlauer Urvater Jakob von Isaak gesegnet werden wollte – und zwar vor seinem älteren Bruder Esau, der vor ihm in der Schlange stand. Du erinnerst dich doch sicher noch ganz genau, welchen Trick er angewendet hat? Er tarnte sich mit den Gewändern seines Bruders, mit anderen Worten, er bediente sich des alten Verkleidungstricks. Kapiert?«
»Nein.«
»Macht nichts. Nehmen wir an, ich muß auf irgendein Amt und vor der Tür steht eine Schlange, die von Pontius bis Pilatus reicht. Was mache ich? Ich ziehe meinen Rock aus, deponiere ihn beim Portier und gehe in Hemdsärmeln zielbewußt auf die Schlange zu. Die Menge hält mich für einen Beamten und teilt sich vor mir wie das Rote Meer in der guten alten Zeit. Um auf Nummer Sicher zu gehen, nehme ich manchmal eine Tasse Tee oder einige Aktenordner mit. Wenn irgend jemand widerborstig wird und Anstalten macht, sich mir in den Weg zu stellen, sage ich sarkastisch: ›Würden Sie mich freundlicherweise in mein Büro lassen?‹ Das wirkt immer.«
Kürzlich bin ich Jossele wieder begegnet.
Er hatte einen Fuß in Gips und ein ganzes Sortiment von dekorativen Bandagen um den Kopf gewickelt.
»Sie haben mich reingelegt, diese Verräter«, keuchte er. »Ich wollte aufs Arbeitsamt, um mir meine Arbeitsunfähigkeit bestätigen zu lassen. Vor dem Eingang wartete, wie üblich, eine riesige Menschenmenge. Also zog ich meinen Rock aus und sagte sarkastisch: ›Meine Herrschaften, hätten Sie die Freundlichkeit, den Amtsvorsteher durchzulassen?‹ Da begann ein riesiger Kerl wie am Spieß zu brüllen: ›Da ist er endlich, dieser Schuft!‹, ergriff mich am Kragen, verpaßte mir zwei schallende Ohrfeigen und . . .«
Der Rest steht im Spitalbericht.
C'est la vie!
Feiertage
»Ein Feiertag kommt selten allein«, sagten schon unsere Urväter seligen Andenkens vor etwa drei bis fünf Jahrtausenden und erfanden jene alle Rekorde brechende Serie hoher jüdischer Feiertage.
Wahrhaftig, wer immer es wagt, über diesen Feiertagsmarathon nicht in helle Verzückung zu geraten, kann nur ein gottloser Ketzer sein. Zumindest aber ein ausbeuterischer Arbeitgeber oder gar ein Briefträger, der sich vor den Feiertagen mit Tonnen von Glückwunschkarten abschleppen muß.
Ich für meine Person bin weder ein Postsklave noch ein Großkapitalist. Nein, ich bin Angehöriger eines freischaffenden Berufes, nämlich ein Ehemann, und als solcher ertrinke ich regelmäßig in der jährlichen Festtagsschwemme.
An der besten Ehefrau von allen vollzieht sich zum Beispiel schon etliche Tage vor dem hohen Fest eine merkwürdige Wandlung: sie wird in zunehmendem Maße fahrig und nervös. Ihr Zustand gipfelt in der krankhaften Besessenheit einzukaufen. Aus unerfindlichen Gründen pflegt sie für die Festtage Hüte, Blumentöpfe, Türvorleger, Bilderrahmen, zwei neue Leitern und eine Kleiderbürste für mich einzukaufen.
Alle diese Dinge mögen sehr wichtig, vielleicht sogar lebensnotwendig sein, nur hat mir bis zum heutigen Tag niemand erklären können, warum dieses Zeug ausgerechnet vor den Feiertagen erstanden werden muß.
Ich setzte mich eines Tages hin und überprüfte jedes einzelne der 615 einschlägigen Gesetze unserer heiligen Religion, fand aber nicht den geringsten Anhaltspunkt für ein Gebot, das einer Ehefrau vorschreibt, vor irgendeinem
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