Abraham Kann Nichts Dafür. 66 Neue Satiren.
ganze Mauerlänge. Auf eine derartige List war ich natürlich vorbereitet. Ich öffnete meinen großen, schwarzen Regenschirm, den ich eigens zu diesem Zweck mitgebracht hatte, und gelangte, nur leicht berieselt, ans Ziel.
»Trrr, trrr!« erregte sich der Bademeister. »Was soll das? Was haben Sie da?«
»Einen Regenschirm«, sagte ich, »warum?«
In den Augen des Bademeisters loderten Zornesflammen. Daß er mir nicht auf der Stelle den Hals umdrehte, verdankte ich nur der äußerst streng formulierten Badeordnung.
Am anderen Tag stand eine radargesteuerte Regenschirmkontrollanlage am Eingang des Schwimmbades. Ich mußte mir eine neue duschfeste Lösung einfallen lassen.
Es war ganz einfach.
Ich schrumpfte auf Regenwurmgröße zusammen, hielt die Luft an und tauchte durchs Abflußrohr ins Schwimmbad. Vielleicht gibt es eine bequemere Art, ein Schwimmbecken trocken zu erreichen, aber der Weg zur trillerlosen Freiheit hat schon immer seine Opfer gefordert.
Schnecken
Neulich fuhr ich mit dem Wagen aus der Stadt, blickte zufällig durchs Seitenfenster und entdeckte eine kleine Schnecke, die entlang der Landstraße ostwärts eilte. Da ich immer schon eine gewisse Sympathie für Schnecken hatte, besonders in Knoblauchsauce, wandte ich mich an sie:
»Wohin willst du, liebe kleine Schnecke?«
»Nach Jerusalem.«
»Das ist aber sehr weit, kleine Schnecke. Darf ich dir helfen? Ich stecke dich in einen Umschlag und schicke dich per Post nach Jerusalem.«
»Sehr freundlich«, antwortete die Schnecke, »aber ich hab's eilig.«
Soweit meine Parabel, die eine nationale Tragödie in einer Nußschale symbolisiert, oder vielleicht besser gesagt, in einem Schneckenhaus.
Ich zum Beispiel habe in letzter Zeit vier Briefe von Tel Aviv nach Jerusalem gesandt, und zwar mit folgenden Ergebnissen: Der erste Brief kam nach drei Tagen an seinem Bestimmungsort an, der zweite nach einunddreißig Tagen, der dritte ist noch unterwegs und wurde zuletzt in einem mexikanischen Nightclub gesehen. Was aber mein viertes Schreiben betrifft – und hier wird die Geschichte unglaubwürdig –, so erreichte es Jerusalem in einem halben Tag.
Es wäre völlig ungerecht zu behaupten, daß unsere Post langsam arbeitet. Der richtige Ausdruck wäre vielmehr »sprunghaft«. Warum sollte ich mich also beschweren? Schließlich ist es eine unumstößliche Tatsache, daß alle meine Briefe mit der Zeit angekommen sind und wenn nicht am Bestimmungsort, dann woanders. Und wenn eine Glückwunschkarte nicht zum Neuen Jahr ankommt, dann sicher zu irgendeinem Geburtstag. Und wenn es nicht der Geburtstag des Empfängers ist, so ist es sicher die Silberne Hochzeit irgendeines anderen Staatsbürgers, der viel netter ist und ihn vielleicht nötiger hat. Glückwünsche sind immer willkommen.
Die Regierung hat kürzlich sogar eine Gruppe internationaler Fachleute eingeladen, die unsere seltsamen Postverhältnisse unter die Lupe nehmen sollten. Zum Zeitpunkt ihrer Abreise jedoch waren sie nur mehr nervöse Wracks, und nun laufen die Zustände bei der Post ihrer Länder nach unserem Vorbild ab. Wenn man das Wort »laufen« in diesem Zusammenhang überhaupt gebrauchen darf.
Inzwischen aber glaube ich zu wissen, wo des Rätsels Lösung liegt.
Wenn der durchschnittliche Nah-Ost-Briefträger von seinem täglichen Rundgang genug hat und seine geschwollenen Füße schwer werden, pflegt er sich zu fragen: »Wie komme ich eigentlich dazu, mich so abzuplagen? Soll sich doch die Postdirektion selber um ihre lausige Post kümmern!« Worauf er alle Briefe aus seinem Postsack in den nächsten Postkasten wirft.
Und wer wollte ihm das verübeln? Doch höchstens ein paar Schnecken, die es eilig haben.
Bücherschwemme
Kürzlich ging ich in der Stadt gerade an jener Buchhandlung vorbei, die sich auf hebräische Literatur spezialisiert hat, als plötzlich der Gehsteig unter meinen Füßen nachgab. Ich stürzte in einen finsteren Schacht, schlug hart auf und wurde bewußtlos. Als ich wieder zu mir kam, saß ich mit einem Eiswickel auf dem Kopf und dem Ladenbesitzer neben mir in einem bequemen Lehnstuhl im Geschäft.
»Es tut mir aufrichtig leid, mit solchen Mitteln Kunden werben zu müssen«, entschuldigte sich der Buchhändler teilnahmsvoll. »Sie wissen selbst, daß die Menschen heutzutage immer weniger und weniger lesen, und wenn sie es tun, ist es irgendein ausländischer Schund. Hier versuchen wir dem Publikum den Weg zur wertvollen, hebräischen Literatur zu ebnen, und der
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