Abschalten: Die Business Class macht Ferien (German Edition)
geht.
Dieser Grieder erscheint eines Tages nicht zur Arbeit, und im Board-Meeting flüstert man ehrfurchtsvoll: »Burn-out.« Zuerst denkt Werder, es handle sich um eine besonders exklusive Feriendestination, Grand Hotel Burn-out, das Burn-out-Atoll oder Martha’s Burn-out, und ärgert sich, dass Grieder sich das zeitlich und finanziell leisten kann. Aber bald wird ihm klar, dass es sich um eine Krankheit handelt, und er zwingt sich, sein Gesicht in mitfühlende Falten zu legen.
Nach dem Meeting googelt er im Internet und stellt erschüttert fest, dass das Burn-out-Syndrom die Folge von – Überengagement ist. Grieder!
Burn-out-Syndrom bekommen Leute, die für ihre Arbeit leben. Die glauben, mehr zu arbeiten als ihre Kollegen und im Unternehmen unentbehrlich zu sein. Grieder! Im Unternehmen unentbehrlich!
Im Vorzimmer bemerkt er zu Frau Kaiser, die sonst Sinn für Humor hat: »Wissen Sie, wovon man das Burnout-Syndrom bekommt? Überengagement.«
Sie antwortet: »Ich weiß. Armer Herr Grieder.« Als wäre ihm soeben postum das Purple Heart überreicht worden.
Ab sofort beginnt Werder, fließend von Stress auf Burn-out zu wechseln. Nicht, dass er die körperlichen Symptome vortäuschen müsste. Sich am Morgen erschöpft und unausgeschlafen fühlen? Unter Schlafstörungen leiden? Unter Alpträumen? Herzklopfen? Hohem Blutdruck? Verspannungen? Hat er alles im Repertoire. Nur hat er es bisher ignoriert. Weggesteckt, als unvermeidliche Nebenwirkungen seiner täglichen Dosis Stress.
Aber jetzt, wo es um den Aufstieg von der Stress- in die Burn-out-Liga geht, beginnt er gezielt unter den Symptomen zu leiden. Unter den angenehmeren – mehr Alkohol als früher, beschleunigte Gewichtszunahme – und unter den heikleren – Verdauungsstörungen, Probleme im Bett.
Nach wenigen Wochen hat Werder alles drauf: leer, ausgebrannt, unnütz, pessimistisch, hilflos, unmotiviert, gleichgültig. Alles auf Abruf.
Jetzt arbeitet er noch am Plötzlich-grundlos-Weinen.
Der Mensch im Mittelpunkt
Wer sagt es denn: Der Trend geht wieder Richtung Mensch. Haben die es auch schon gemerkt. Hat aber gedauert. Nach Jahren der Profitmaximierung, Kostenreduzierung, Synergetisierung, Restrukturierung, Shareholder Validierung, Liberalisierung stoßen sie plötzlich auf den Menschen als prioritären Unternehmenswert.
Mosimann sitzt in der Lobby des Majestic und arbeitet Management-Fachliteratur auf. Ab und zu braucht er das, sonst ist er weg vom Fenster.
Bei den meisten Neuerscheinungen genügt es zwar, die minutes zu lesen, um mitreden zu können. Aber es ist auch immer wieder mal ganz wirkungsvoll, mit einem Zitat aufzutrumpfen, das nicht in den Kurzzusammenfassungen steht. Deshalb deckt er sich einmal im Monat mit einem aktuellen Querschnitt ein und haut für ein paar Tage ab. No calls.
Diesmal hat er sich für das Majestic entschieden. Nicht so penetrant business. Davon hat er auf Geschäftsreisen genug. Wirklich gut ausgebildetes Personal. Diskret und trotzdem aufmerksam. Nette Suiten. Nichts Protziges, Schlafzimmer, Wohnzimmer, Umkleidezimmer, Bäder. Aber die Details stimmen. Das ist wichtig in einer Klausur. Sonst ist die Konzentration futsch. Da darf der Kamin keine Attrappe sein. Wenn er es als effizienzfördernd erlebt, vor dem Kaminfeuer zu arbeiten, dann braucht es einen Kamin, der funkioniert, und jemanden, der ihn anfeuern kann. Nur als Beispiel.
Dass er jetzt in der Lobby arbeitet, hat wirklich nichts mit der Qualität der Suite zu tun. Es hat, hübscher Zufall, genau mit dem Thema des Buches zu tun, das er im Moment mit einem leuchtgrünen Marker durchhighlighted: Der Mensch.
Der Mensch, nicht als human resource, nicht als Kostenfaktor, nicht als Produktionsrisiko, nicht als Einsparpotential. Der Mensch als Mensch. Wie er die Lobby betritt, langbeinig und mit schlanken Fesseln, unternehmungslustig oder gelangweilt, der Mensch, wie er an Mosimanns Sessel vorbeistöckelt oder -schlendert oder -wiegt und die drei Tritte zur Bar hochsteigt und ihn – vielleicht – mit einem Blick streift, bevor die Tür aufgleitet und der Mensch in der Bar verschwindet.
Jetzt endlich, nach Jahren der entmenschlichten Gewinnorientierung, beginnt die Managementlehre den Menschen als Unternehmenszweck zu entdecken. Die Erhöhung des psychischen und physischen Wohlbefindens wird endlich zum Maßstab des wirtschaftlichen Erfolgs. Und materielle und finanzielle Wertschöpfung gelten endlich als nichts anderes als deren ganz natürliches
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