Abschalten: Die Business Class macht Ferien (German Edition)
verbringt die Siestas vor dem Laptop und ist rund um die Uhr auf dem Handy erreichbar. Er legt sich einen Vorrat an nicht bezogenen Ferienwochen an, als Konversationsthema für Tauber, Eicher, Schmutz oder Baumler.
Am Kaffeeautomaten begegnen sie sich manchmal bei einem kurzen Boxenstopp. Während der bittere Espresso ins Styropor fließt, bleibt Zeit zum Austausch einiger Stoßseufzer über den momentanen Stand der Überlastung.
Wenn nämlich einer auf Widmanns Ebene kein Workaholic ist, gerät er leicht in den Verdacht, nicht überlastet zu sein. Überlastung ist jedoch das untrüglichste Anzeichen für Unersetzlichkeit. Jemand, der nicht überlastet ist, macht einen Job, den auch andere erledigen können.
So bleibt Widmann nichts anderes übrig, als mitzuhalten. Sechzig, siebzig, sogar achtzig Wochenstunden hinzulegen und sooft wie möglich im Kreis von Mitbetroffenen darüber zu reden. »Mein Name ist Widmann, ich bin Workaholiker.«
Wartners Veto
Wartner steht am Strand, träge Wellen umspielen seine Knöchel, er spürt, wie das Meer den weißen Sand unter seinen Fußsohlen wegspült. Vor ihm planschen wunderschöne junge Frauen genau so tief im Wasser, dass er nicht erkennen kann, ob sie auch unten nichts anhaben.
Er selber trägt eine leuchtend orangefarbene Badehose. Etwas knapp geschnitten, aber er kann es sich leisten. Wenn er an sich runterschaut, entdeckt er kein Gramm Fett. Unter dem Brustkorb, dort, wo sonst ein weißer schwammiger Bauch war, befindet sich jetzt ein Sixpack Muskeln.
Die schönen Frauen werfen sich anmutig große bunte Bälle zu. Manchmal springt eine hoch genug, um seine Vermutung zu bestätigen, dass sie unten dasselbe tragen wie oben.
Wartner winkt ihnen. Jetzt fliegen ihm die Bälle zu. Rote, blaue, gelbe, gestreifte, gepunktete, geblümte. Er fängt sie alle und wirft sie zurück. Auch zwei, auch drei auf einmal. Und die, die er nicht fassen kann, spielt er zurück. Mit der Faust, mit dem Absatz, mit der Brust. Auch die unerreichbarsten. Stößt sich ab im weichen Sand und steigt hoch hinauf in den tintenblauen karibischen Himmel.
Die schönen Frauen jauchzen und klatschen. Wartner steigt immer höher, springt Figuren, Volten, Salti, Spiralen, Butterflys, bleibt kurz in der Luft stehen und winkt den Schönen zu, die ihm Kusshände und Blütenkränze zuwerfen.
Er gleitet pfeilgerade in den glatten Meeresspiegel und schwimmt Slalom zwischen den makellosen Körpern, verspielt wie ein junger Delphin.
Und er springt in Zeitlupe durch die blumenbekränzten Reifen, die die Badenixen über ihren reizenden Köpfen hochhalten. Sein Haar glitzert in der Sonne, von seiner geölten braunen Haut perlt das Salzwasser.
Und jetzt jagen sie über den weißen, einsamen Strand. Acht, nein, zehn, nein, fünfzehn lachende, jauchzende, kreischende, herrliche Geschöpfe, dicht gefolgt von Wartner.
Aber seine Beine werden schwerer, der Sand tiefer, die Frauen kleiner, die Stimmen leiser. Und plötzlich wird es still. Wartner steckt fest. Er schaut an sich hinunter, und da ist er wieder: der weiße schwammige Bauch.
»Nein!«, ruft er.
Er schlägt die Augen auf und blickt in die gespannten Gesichter seines obersten Kaders.
Der Protokollführer notiert: »Dr. Wartner lehnt den Vorschlag der Task Force dezidiert ab. Die Lancierung der neuen Modellreihe wird gestoppt.«
Werders Burn-out-Syndrom
Bis jetzt war Werder einfach gestresst. Total gestresst. Wenn er einen Raum betrat, fing der an zu vibrieren. Wenn er durch den Korridor ging, flatterten die Anschläge am Brett. Und jede Minute, die er einer Sache widmete, stahl er einer andern. Werders Stress-Performance war vielleicht die höchste innerhalb des Unternehmens. Vielleicht sogar innerhalb der Holding.
Aber das Burn-out-Syndrom erwischt Werder auf dem falschen Fuß. Ihn! Mit seinem Riecher für Trends! Während er sich noch vom Stress zu Höchstleistungen peitschen lässt, sitzt die Avantgarde bereits mit ausdruckslosem Blick gelähmt an ihren Schreibtischen und fühlt sich leer und ausgebrannt.
Und er Idiot betrachtet Stress nach wie vor als Stimulans, während die Trendsetter der Führungskräfte längst daran zerbrechen.
Noch nie in seinem ganzen Leben hat er sich so von gestern gefühlt. Er nimmt den Begriff Burn-out-Syndrom zum ersten Mal bewusst zur Kenntnis, als Grieder bereits in der Rehaklinik liegt. Ausgerechnet 50-Stunden-Grieder, der immer entweder noch nicht gekommen oder schon gegangen ist, wenn Werder kommt und
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