Abschalten: Die Business Class macht Ferien (German Edition)
seiner totalen beruflichen Hingabe. Pünktlichkeit ist das Gegenteil von Engagement. Sie degradiert die Tätigkeit zu einer, der man nach einem bestimmten Stundenplan nachgehen kann.
Nicht, dass Perrig von seiner Abteilung nicht absolute Pünktlichkeit verlangen würde. Von Leuten, die durch die Pünktlichkeit, mit der sie ihrer Aufgabe nachgehen, beweisen, dass sie nicht mit Leidenschaft bei der Sache sind, ist Pünktlichkeit das Mindeste, was man verlangen darf. Es ist die demonstrative Art, wie sie alle schon da sind, wenn er eintrifft, abgekämpft schon morgens um neun und ohne Hoffnung, den Rückstand auf den Tag jemals aufzuholen, die er ihnen vorwirft.
Sobald Perrig im Büro ist, macht er sich daran, Dinge, die die höchste Stufe der Überfälligkeit noch nicht erreicht haben, zu verschieben. Eine Arbeit, zu der er etwa drei Tassen starken Kaffee braucht. Danach gönnt er sich eine Kaffeepause, reißt die Fenster auf, leert die Aschenbecher, schließt die Fenster, zündet sich eine an und beginnt, eine Pendenzenliste aufzustellen. Bis Mittag lässt er sich von der Aussichtslosigkeit lähmen, auch nur eine der anstehenden Aufgaben auch nur annähernd befriedigend lösen zu können. Dann geht er zum Lunch, wo er praktisch keinen Bissen runterkriegt und ein wenig überzieht mit Glogger, der auch ein Liedchen singen kann vom Stress.
Am Nachmittag kommt er zu nichts, weil alles auf ihn einstürzt. Alle wollen etwas von ihm, nichts geht ohne ihn. Was kann man anderes erwarten von Leuten, die nur darauf warten, bis es fünf Uhr ist und sie den Griffel fallen lassen können?
Perrig läuft langsam zu seiner Hochform auf. Erledigt gleichzeitig drei Dinge nicht und trifft nebenbei noch ein paar wichtige Entscheidungen, die Vertagung einiger wichtiger Entscheidungen betreffend. Doch genau als er sich die Pendenzenliste vorknöpfen will, wird er von seiner Sekretärin an die Abteilungsleitersitzung erinnert, die vor zehn Minuten begonnen hat. Über eine Stunde verbringt er wie auf Nadeln mit Leuten, die offenbar nichts anderes zu tun haben, als zu quasseln, während es in seiner Abteilung an allen Ecken brennt, meine Herren.
Als er endlich wieder im Büro sitzt, ist schon die halbe Abteilung gegangen. Das hat den Vorteil, dass er in Ruhe seine Pendenzen aufarbeiten kann, aber den Nachteil, dass das dazu nötige Feedback nicht abrufbar ist, weil die zuständigen Apparatschiks natürlich schon längst zu Hause auf dem Balkon in die Holzkohle pusten.
Es bleibt ihm nichts übrig, als das Ganze um eine schlaflose Nacht zu verschieben.
Widmann, Workaholic
Auf Widmanns Ebene sind alle Workaholics: Tauber, Eicher, Schmutz, sogar Baumler auf seine Art. Obwohl dieser lange Trockenperioden hat, in denen sein Parkplatz wochenendelang leer steht. Aber danach packt es ihn umso heftiger. Ein Quartalsworkaholic.
Widmann selbst ist eher ein Gesellschaftsworkaholic. Er tut es einfach, weil es gesellschaftlich erwartet wird. Wenn er ehrlich ist, mag er es nicht, das Arbeiten. Er muss sich richtig überwinden. Er könnte ohne Probleme ganz ohne auskommen. Er könnte monatelang keinen Finger rühren, ohne auch nur die Spur einer Entzugserscheinung. Er könnte die Wochenenden unrasiert im Trainingsanzug durchbrunchen, mit kurzen Erholungsphasen auf dem Liegestuhl, dem Sofa oder dem Bett, je nach Wetter und Tageszeit.
Stattdessen muss er im gemäßigten Freizeitlook mit Exposés in der Hand durch die leeren Gänge tigern und darauf achten, dass er dabei von Tauber, Eicher, Schmutz oder Baumler gesehen wird.
Wenn es nach ihm ginge, würde er Punkt siebzehn Uhr nullnull den Griffel fallen lassen und auf einen Drink oder zwei in die Big-Ben-Bar gehen oder auf die Lago-Terrasse, je nach Jahreszeit und Witterung. Aber der gesellschaftliche Zwang, bis neunzehn Uhr Dinge zu erledigen, die ohne weiteres bis morgen warten könnten, und dann zu Hause anzurufen, dass es – guess what? – wieder einmal später werde, ist stärker. So sitzt er Abend für Abend am Schreibtisch, erledigt längst Erledigtes und beteiligt sich am Lichterwettbewerb der oberen Kader: Wessen Licht geht zuletzt aus?
Widmann würde auch sein Ferienguthaben voll ausschöpfen. Er wäre ein Naturtalent im Brückenschlagen zwischen Wochenenden und offiziellen Feiertagen. Er würde aus seinen fünf Wochen mit ein paar Kniffen über sechs machen, in günstigen Kalenderjahren sogar über sieben. Aber nein, er stößt in den Ferien später dazu und reist früher ab. Er
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