Abschalten: Die Business Class macht Ferien (German Edition)
begonnen, einen möglichst augenfälligen Kontrast zu ihm zu bilden. Das fällt ihr leicht, weil sie fünfzehn Jahre jünger ist und einen Teil seines Einkommens darauf verwendet, diesen Abstand zu vergrößern.
Ich hätte auf dem Engadin bestehen sollen, dort hätte ich den Hotelfrotteemantel anbehalten bis zur Treppe des Hallen-Pools und ihn nach meinen zwei Längen sofort wieder angezogen. Nievergelt legt sich auf den Bauch und versucht, das Wall Street Journal zu lesen, indem er es in den Sand legt und über die Oberkante des Kopfendes der Liege linst. Nach zwei Minuten fallen die ersten schweren Schweißtropfen auf den Leitartikel. Nievergelt beschließt, die Stellung zu wechseln. Dazu muss er das Kopfteil der Liege hochklappen. Und dazu wiederum muss er aufstehen und sich vornüberbeugen. Da das eine sehr verräterische Körperhaltung ist, versucht er, den Stellungswechsel möglichst rasch und ohne Aufsehen hinter sich zu bringen. Dabei verhaspelt er sich und muss sich vom herbeigeeilten griechischen Gott von einem Strandkellner mit dem Kopfteil helfen lassen. Er spürt alle Augen des Strandes auf sich gerichtet. Also nicht nur dick, denkt der Strand, auch noch doof.
Nievergelt legt sich auf den Rücken, den Oberkörper hochgelagert, die Zeitung diskret vor dem Bauch, und beginnt sich ein wenig zu entspannen.
»So bekommst du wieder diese weißen Ringe am Hals und um den Bauch«, ermahnt ihn Sandra.
Er hätte auf dem Engadin bestehen sollen.
Hunold, Manager und Familienvater
Hunold kann auch abschalten und nur für die Familie da sein. In der Regel Ende Juli. Dann lässt er die Firma Firma sein und geht in die Sommerferien. Zwar nicht vier Wochen wie Linda und die Kinder, aber immerhin zehn Tage. Es kommt ja nicht in erster Linie auf die Länge an, die Intensität ist es, die zählt. Und in puncto Intensität ist Hunold stark.
Er kommt so Mitte der zweiten Woche und meidet damit die gehässigen ersten Tage. Bei seiner Ankunft sind die Sonnenschutzfaktoren schon runter auf zehn, und Annina (7) und Terry (9) wissen, wo es die beste Pizza gibt und was »ein Magnum mit Mandelsplitter« in der Landessprache heißt. Linda ist braun genug für die neue Feriengarderobe und bewegt sich mit der Nonchalance einer erschöpften Mutter von zwei kleinen Kindern nach zehn Tagen Kampf gegen Ultraviolett, Quallen, Hitze und unterschiedliche Auffassungen in fast allen Fragen des täglichen Lebens. Wenn Hunold ankommt, ist die Familie bereit für ihn.
Den Abend nach seiner Ankunft widmet er Linda. Sobald sie die Kinder ins Bett gebracht hat, besitzt sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Dann kann sie ihm einmal all das erzählen, wofür ihm sonst seine Managementaufgaben (letztlich ja seine Aufgaben als Ernährer) keine Zeit lassen. Das ist der Moment, wo er zuhört, wo er alles wissen will über die kleinen Sorgen und Sensatiönchen des Alltags einer Mutter zweier Kinder und Frau eines Executive Vice President der Schweizer Niederlassung eines internationalen Markenartiklers. Wenn es nicht zu spät wird oder einer seiner praktischen Ratschläge zu Haushaltführung oder Kindererziehung zu einer Verstimmung geführt hat, intensiviert er nach dem Zubettgehen die Beziehung auch noch über das rein Geistige hinaus.
Der Tag gehört dann der ganzen Familie. Er beginnt mit dem gemeinsamen Frühstück. Sich hinsetzen, sich zuwenden. »Wie würdest du Qualle schreiben, Annina?« – »Wie heißt das Land, wo wir sind, und wie seine Hauptstadt, Terry?« Kinder sind ja so wissensdurstig.
Das Programm des ersten Tages sieht keinen Strandbesuch vor. Das hat vor allem pädagogische Gründe. Hunold will mit dieser unpopulären Maßnahme seine natürliche Autorität von Anfang an wiederherstellen, Kinder brauchen Führung, sie wollen, dass ihnen jemand sagt, wo es langgeht. Natürlich ist das im Normalfall Linda, aber kann eine Mutter auf die Länge den Vater ersetzen? Ein Tag ohne die Ablenkung des Strandlebens verbessert die Intensität des Zusammenseins. Und auch die persönliche Erreichbarkeit am ersten Tag seiner Firmenabwesenheit.
Hunold beschäftigt sich also rückhaltlos mit seinen Kindern. Was sind das für kleine Menschlein, die er hier führt, für die er sorgt, die zu ihm aufschauen, die ihm vertrauen? Welche seiner Bewegungen, Züge, Charaktereigenschaften, Talente entdeckt er in ihnen wieder? Wie kann er wecken, motivieren, fördern?
Er versucht ihnen die Landessprache des Ferienortes näherzubringen, denn Kinder
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