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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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Fröhliche, Lachende, die mich massierte, der ich ewige Liebe schwor, bis dass der Tod uns scheidet, die mir die Kinder schenkte, die mir alles bedeuten, und die mir in meinem hoffnungslosen Strudel finsterer Gedanken einen Rettungsring zuwarf.
    Sie ist doch versichert, oder?

43
    »Mama, dürfen wir sie behalten?«
    Diese Frage habe ich erwartet, aber noch nicht so bald. Die Kätzchen haben ihre erste Nacht gut überstanden. Sie liegen ineinander verschlungen am kahl geschorenen Bauch ihrer Mutter und geben leise, zufriedene Geräusche von sich. Auch Reddy geht es wieder gut. Die Wunde weist keine Verdickungen oder rötlichen Verfärbungen auf.
    »Ja!«, pflichtet Charlotte ihrer älteren Schwester bei und blickt mich flehend an, mit übertrieben blinzelnden Augen: »Bitte-bitte-bitte! Eins für mich und eins für Fleur.«
    »Aber wir haben doch schon Reddy?«
    »Das ist etwas anderes, die gehört dir.«
    »Sie gehört uns allen«, korrigiere ich.
    »Charlotte hat morgen Geburtstag«, gibt Fleur zu bedenken und stupst ihre Schwester an. »Sie möchte viel lieber eine Babykatze als ein neues Fahrrad, stimmt’s, Charlotte?«
    Charlotte ist sich da nicht so sicher. Jedenfalls schweigt sie. Sie zappelt unruhig auf dem Küchenstuhl herum, eine Hand unter dem Kinn. In der anderen hält sie eine Scheibe Brot, von der sie bisher noch nichts abgebissen hat. Sich zwischen einer Babykatze und einem Fahrrad zu entscheiden, ist wirklich schrecklich schwierig, wenn man gerade erst sechs wird. Oder besser: »thechth«, denn Charlotte hat heute Morgen ihren zweiten oberen Schneidezahn verloren, und die große, gähnende Lücke in ihrem Oberkiefer hat erhebliche Auswirkungen auf die Aussprache der Zischlaute.
    »Ich weiß es noch nicht«, antworte ich. »Ich möchte erst mit Papa darüber reden. Der weiß bisher noch nicht mal, dass Reddy Junge bekommen hat.«
    Fleur lässt sich vom Stuhl rutschen und geht zur Bananenkiste.
    Ich sage streng: »Fleur, zurück an den Tisch, dein Teller ist noch nicht leer.«
    Ich schaue auf die Uhr. Viertel nach acht. In einer Viertelstunde beginnt die Schule, wir haben noch fünf Minuten.
    »Fleur, hörst du nicht?«
    »Ich hab doch alles aufgegessen!«
    »Die Kruste gehört zum Brot dazu.«
    Sie tut so, als habe sie mich nicht gehört, und im Grunde ist mir das ganz recht. Heute Nacht habe ich schlecht geschlafen, und beim Aufstehen hatte ich leichte Kopfschmerzen, die mich immer noch plagen. Ich habe keine Lust, mit Fleur einen Streit über eine Lappalie wie Brotkruste vom Zaun zu brechen.
    Ich frage mich zum tausendsten Mal, wo sich Harald herumtreibt und in wessen Gesellschaft. Hoffentlich kommt er wenigstens rechtzeitig nach Hause. Ich habe mit meiner Mutter ausgemacht, sie heute Nachmittag abzuholen, und Harald sollte ab vier Uhr auf die Kinder aufpassen.
    Ich räume Fleurs Teller ab, schiebe die abgeknabberten Brotkrusten in den Biomüll unter der Anrichte und stelle den Teller in die Spülmaschine. Anschließend räume ich weiter den Tisch ab, um Charlotte herum, die gerade erst den ersten Mäusehappen von ihrem Brot abbeißt. Als ich damit fertig bin und die Anrichte mit einem feuchten Lappen abwischen will, ertönt ein gellender Schrei, der mir durch Mark und Bein geht. Ruckartig drehe ich mich um.
    Fleur kommt laut kreischend und heulend auf mich zugerannt. Hinter ihr steht Reddy, die Pfoten weit gespreizt, mit wild hin und her schlagendem Schwanz. Eines ihrer Jungen baumelt am Nackenfell aus ihrem Maul.
    Ich hebe Fleur auf, drücke sie an mich und reibe ihr über den Rücken. »Was ist denn passiert?«
    Sie antwortet nicht, sondern heult hysterisch weiter.
    »Fleur! Was ist los?«
    »Reddy! Reddy h-hat …«
    Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich, wie Reddy zurück in die Kiste springt, das Kleine neben das andere legt und sich schützend um die beiden zusammenrollt. Aus ihren grünen Augen starrt sie uns argwöhnisch an.
    Ich sehe Fleur ins Gesicht. »Hast du ein Babykätzchen in die Hand genommen?«
    »Jaaaa …«, jammert sie. Ihr läuft Rotz aus der Nase, der sich mit ihren Tränen vermischt. »Und d-d-dann …« Sie holt tief Luft. »Und dann …«
    Ich setze Fleur neben das Spülbecken auf die Anrichte, löse ihre Arme von meinem Hals und sehe mir die Bescherung an. Über beide Unterarme ziehen sich tiefe Striemen. Fleurs Haut ist an sieben, acht Stellen aufgekratzt. Entlang der unregelmäßigen, geschwollenen Wundränder quillt Blut hervor.
    Vor lauter Schreck vergesse ich, sie zu

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