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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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während ich keuchend Atem schöpfe.
    »Hure!«, stoße ich so heftig hervor, dass sich meine Stimme überschlägt. »Claire – ist – eine – Hure! Eine Hure, verdammt noch mal!«
    Das Schreien erleichtert mich. Ich springe vom Bett, gehe ans Fenster und schiebe es hoch. Blasse Sonnenstrahlen fallen auf die Gracht, auf einen Blumenstand und Scharen von Passanten. Draußen sind es achtzehn, neunzehn Grad. Die Luft ist lau und mild.
    Ich lege die Hände auf die Fensterbank, umklammere das Holz so fest, dass meine Knöchel weiß hervortreten, und lehne mich nach vorn. »Hure!«, schreie ich aus voller Brust über die Gracht. »Sie – ist – eine – HURE !«
    »Sind wir das nicht alle?«, scherzt ein junger Mann, der auf einem Fahrrad vorbeifährt, und winkt mir freundschaftlich zu.
    Ich ziehe mich zurück, stoße mir den Hinterkopf empfindlich an der Unterkante des Fensters und schiebe es mit einer wütenden Geste herunter.
    Das Zimmer engt mich ein. Die Schwärme hellgrüner Kraniche auf der Tapete scheinen sich von ihrem Hintergrund zu lösen. Sie springen mich mit ihren Stelzbeinen an, picken nach mir. Lachen mich aus. Ich muss raus hier.
    Ich gehe hinaus auf den Flur und stolpere die mit Teppichboden ausgelegten Treppenstufen hinunter. In der Lobby nicken mir die Hotelangestellten zu. Ihr Lächeln ist freundlich und professionell, aber ihre Blicke verraten, was sie wirklich denken. Eine ältere, goldbehangene Dame sitzt beim Tee und mustert mich neugierig.
    Schwankend trete ich nach draußen, schlage die Tür hinter mir zu und stütze mich an der Fassade ab.
    Die Hauptstadt ist die Stadt der Prostitution. Rotlichtviertel. Huren. In meinem ganzen Leben bin ich noch nie mit Frauen in Kontakt gekommen, die sich für Sex bezahlen ließen. Noch niemals.
    Dachtest du .
    Idiot, der ich bin. Ich habe an Claire geglaubt. Ich habe an die wahre Liebe geglaubt.
    Ich stoße mich von der Fassade ab und gehe in Richtung einer belebteren Straße. Dort finde ich bestimmt irgendwo ein Taxi, das mich in das hauptstädtische Sodom und Gomorrha bringt.

42
    Fleur und Charlotte liegen rechts und links von mir. Ich höre sie kaum atmen, so tief schlafen sie. Wenn ich mich anstrenge, kann ich unten in der Küche die Spülmaschine hören. Sonst nichts.
    Die Schlaftabletten von Doktor Vlier liegen unangerührt im Medizinschrank. Ich möchte jetzt lieber einen klaren Kopf bewahren.
    Haralds Abwesenheit macht mir Sorgen. Ich habe das Gefühl, dass da etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Er wirkte so anders als sonst. Aus der Fassung gebracht. Kurz angebunden. Ich möchte gerne glauben, dass nichts weiter dahintersteckt. Dass Harald geschäftlich nach Amsterdam musste und dort ein paar Schnäpse getrunken hat, die ihm nicht bekommen sind. Und dass ich ihn nicht erreichen kann, weil der Akku seines Handys leer ist und er kein Ladegerät dabeihat. Ich würde gerne glauben, dass Harald jetzt tief schläft, in einem mir unbekannten Hotel. Dass er im Bett liegt.
    Aber noch viel lieber wäre mir, wenn ich seine Umrisse erkennen könnte, wenn er in der Dunkelheit neben mir schliefe. Wenn seine Kleidung ordentlich auf dem stummen Diener neben seinem Bett hinge und seine Schuhe ordentlich darunterstünden.
    Ich lausche den leisen Nachtgeräuschen und drehe mich um. Ziehe mir die Decke über die Brust.
    Unwillkürlich muss ich an Marius denken. Wie er mich auf dem Boot angesehen hat, und was schon allein sein Blick bei mir bewirkte. Dieses Lächeln, dieses ewige, umwerfende Lächeln. Ich fühle seine Hände wieder fest auf meinen Hüften. Ich spüre die inneren Spuren und Abdrücke, die er hinterlassen hat und die ich noch tagelang mit mir herumgetragen habe. Die ich jetzt noch spüren kann, schon allein, indem ich daran zurückdenke.

    Marius war hier.
    Und jetzt? Wo ist er jetzt?
    In Uganda? Oder … vielleicht doch viel näher, in Amsterdam zum Beispiel?
    Zum hundertsten Mal in dieser Nacht rede ich mir ein, dass Marius mich zu gern hat, um mich zu betrügen. Und dass er auch nicht der Typ für gemeine Spielchen ist. Ich kenne ihn. Er hat mich am laufenden Band belogen, aber nie, wenn es um wirklich wichtige Dinge ging. Dieser seltsam zwiespältige Charakterzug hängt eng mit seinem Gewerbe zusammen: Wenn man sich in der Illegalität bewegt, kann man nicht einfach zur Polizei gehen, es gibt keinen Richter, an den man sich wenden kann, keinen Ombudsmann, keine Gewerkschaft und keine Beschwerdestelle. Wenn also Kriminelle beschließen,

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