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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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beruhigen. »Verflixt noch mal, ich habe euch mindestens dreißigmal gesagt, ihr sollt die Kleinen nicht anfassen!«
    »Ja, a-a-aber, ich dachte …«
    »Ich sage das doch nicht nur so zum Spaß! Wie oft habe ich nicht …«
    Die Tränen laufen ihr über das gerötete Gesicht, und sie zittert am ganzen Leib.
    »Tut mir leid, Schatz.« Ich nehme sie in den Arm, küsse sie auf den Scheitel und reibe sanft über den Rücken, auf dem ich durch den dünnen T-Shirt-Stoff fast die Rippen zählen kann. Dabei flüstere ich beruhigende Worte.
    Allmählich beruhigt sie sich ein wenig.
    »Du hast dich erschreckt, oder?«, flüstere ich.
    Sie nickt und zieht die Nase hoch.
    Charlotte hat sich mit betretenem Gesicht zu uns gesellt. Voller Respekt blickt sie zu Reddy und dann wieder auf die Verletzungen, die unser Haustier angerichtet hat.
    »Tut es sehr weh?«
    Demonstrativ hebt Fleur die Arme. »Guck doch! Ich b-blute überall!«
    »Ich sehe es, Liebling.« Ich drehe den Wasserhahn auf und befeuchte einen Waschhandschuh mit eiskaltem Wasser. Damit tupfe ich vorsichtig ihre Arme sauber. Dann greife ich nach dem Verbandskasten auf dem Regal.
    »Nein, nicht dieses fiese Brennzeug!«, ruft Fleur voller Angst.
    Ich krame die verhasste Jodtinktur zwischen den Pflastern, Schmerzmitteln und Mullbindenrollen hervor, drehe den Deckel von dem Fläschchen ab und fühle mich furchtbar. Ich spritze etwas von der Flüssigkeit auf ein Stück zusammengefalteten Verbandmull und sehe Fleur eindringlich an. »Komm, Schätzchen, jetzt musst du noch einen Moment tapfer sein. Es brennt nur am Anfang, glaub mir, gleich ist es vorbei.«
    Sie dreht den Kopf weg und presst die Lippen aufeinander. So vorsichtig wie möglich tupfe ich die Wunden sauber. Fleur atmet scharf ein, und ihre Unterlippe zittert, aber sie hat aufgehört zu weinen.
    »Schon fertig!«, rufe ich übertrieben fröhlich. Ich fühle mich mindestens so erleichtert wie Fleur selbst. Dann verbinde ich ihre Unterarme mit einer elastischen Mullbinde und fixiere die Enden mit breiten Heftpflasterstreifen.
    »Blöde Kat-the«, höre ich Charlotte sagen. »Ich finde thie gar nicht mehr lieb. Thie itht gemein!« Sie deutet einen Tritt in Richtung der Bananenkiste an.
    »Reddy ist nicht blöd«, tadele ich sie streng. Ich hebe Fleur von der Anrichte und stelle sie auf den Boden. »Sie hat Fleur nicht absichtlich wehgetan.«
    »Aber warum hat Reddy das denn getan, Mama?«, fragt Fleur jetzt.
    Ich räume den Verbandskasten ein, schließe den Deckel und stelle den Kasten zurück auf das Regal. »Sie hat nur ihre Jungen beschützt.«
    »Beschützt«, erwidert Fleur abfällig. »Warum denn? Sie kennt mich doch?« Ihre Stimme klingt wieder verdächtig zittrig, und ich befürchte einen neuen Weinkrampf. »Mama?«, fragt sie beharrlich. »Reddy hasst mich jetzt, oder?«
    »Nein. Sie hasst dich nicht. Ich bin mir sicher, dass sie dich immer noch sehr gern hat.«
    »Wirklich wahr?«
    »Wirklich wahr. Nur hat sie jetzt Babys bekommen, und die will sie beschützen. Auch vor den Menschen, die sie gern hat. Sie kann nichts dafür. Das ist nun einmal ihr Instinkt.«
    »Also sind ihr ihre Kinder wichtiger als ich«, schlussfolgert Fleur mit einem finsteren Blick auf Reddy.
    Ich schaue auf die Uhr. Halb neun. Die Schule hat schon begonnen. »Stimmt. Die Jungen sind immer das Allerwichtigste. Das sind die Regeln im Tierreich.«

44
    Die Sommersonne steht hoch am wolkenlosen Himmel, als ich mich ans Steuer setze, nachdem ich die Mädchen hinten im Auto angegurtet habe.
    Es ist vier Uhr, und Harald hat noch nichts von sich hören lassen. Den ganzen Tag über habe ich immer wieder versucht, ihn anzurufen, aber jedes Mal nur seine Mailbox erreicht. Sein Telefon im Büro war zur Sekretärin durchgestellt. Sobald ich ihre Stimme hörte, habe ich aufgelegt. Die Angestellten werde ich bestimmt nicht fragen, wo sich mein Mann herumtreibt. Allerdings bin ich heute Nachmittag, bevor ich die Mädchen von der Schule abgeholt habe, kurz an der Firma vorbeigefahren.
    Sein Auto stand nicht davor.
    Ich habe mit dem Gedanken gespielt, meiner Mutter für heute abzusagen. Aber vor einer Stunde hat sie mich angerufen und mir mitgeteilt, dass sie mich erwarte, schon »auf gepackten Koffern« sitze und sich unglaublich auf die kommende Woche freue. Ich brachte es nicht übers Herz, sie zu enttäuschen. Außerdem möchte ich meine Mutter gerne um mich haben, falls es Probleme geben sollte.
    »Hey, da kommt Papa!« Fleur hat die graue

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