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Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Vale Allen
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Abschiedsbrief hinterlassen.
    Ian kam zurück, nahm das Telefonbuch oben vom Kühlschrank und brachte es zum Tisch. „Sie müssen doch sicher jetzt einiges erledigen”, regte er leise an.
    Vermutlich hatte er Recht. Furchtbar, aber es musste wohl sein. In den zurückliegenden fünfzehn Monaten hatte sie an vier Bestattungen teilgenommen, drei davon im Zusammenhang mit Tod durch Aids. Ihr engster Freund Mark war in seiner Trauer geradezu wie gelähmt gewesen, als sein langjähriger Lebensgefährte Tim nach einem zweijährigen Leidensweg der Krankheit erlegen war. Rowena hatte sich, in enger Anlehnung an Tims präzise Anordnungen, freiwillig zur Verfügung gestellt und die Formalitäten erledigt. Daher wusste sie, was nun zu tun war. Sie suchte die Telefonnummer des Beerdigungsinstituts heraus, das damals die Trauerfeier für ihre Mutter organisiert hatte, und redete mit einem Mitarbeiter, der ihr mit sanfter Stimme versprach, die Leiche umgehend abholen zu lassen. Außerdem bat er Rowena, noch im Institut vorbeizukommen, um die Einzelheiten zu besprechen.
    Ian saß die ganze Zeit wortlos da, wahrscheinlich in seine eigenen Gedanken versunken. Vielleicht hörte er auch nur zu. Rowena konnte es nicht sagen. Er wirkte benommen, als habe er eine unsichtbare Verwundung davongetragen. Seine edlen Züge waren leicht verzerrt, die Augen glasig.
    „Ich sollte das Personal unterrichten”, sagte er, nachdem Rowena das Telefongespräch beendet hatte, „und alles erklären. Ich muss doch mitteilen, dass wir für einige Zeit schließen werden.”
    Die unausgesprochene Frage, die in seinen Worten mitschwang, drängte Rowena dazu, sich zu erkundigen, was er wirklich von Claudia gehalten hatte. Sie würde es gern erfahren, ein Wunsch, der ihr sogleich ein schlechtes Gewissen machte. Was andere über ihre Schwester gedacht hatten, spielte doch nun eigentlich keine Rolle mehr! Trotzdem, es war keineswegs egal, ganz und gar nicht! Liebend gern hätte Claudia jemand anderem bei der Planung seines Selbstmordes geholfen; bei mörderischen Intrigen blühte sie regelrecht auf. Wäre der Plan dann aber mit aller Konsequenz ausgeführt worden, hätte sie sich erstaunt und angewidert gezeigt und vor ihrem eigenen Mitwirken einfach die Augen verschlossen. Ihre Auffassung von Ursache und Wirkung war auf verhängnisvolle Weise gestört. Möglicherweise hatte sie aber auch nur die seltene Fähigkeit besessen, sich an bestimmte Ereignisse auf eine Weise zu erinnern, die dem eigentlichen Ablauf gar nicht entsprach, um sich so von jeglicher Mitschuld loszusprechen. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte Rowena ihre Schwester geradezu beneidet und sich gewünscht, sie hätte ebenfalls ein solch praktisches Talent besessen, die Wahrheit umzuschreiben. Die Ergebnisse von Claudias niederträchtigen Umtrieben hätten sich damit wohl leichter abschütteln lassen. „Hör dir das an”, so hatte Claudia immer statt einem „Hallo” ihre Telefongespräche begonnen. Mit schrillem Lachen pflegte sie sodann auf dem Anrufbeantworter gespeicherte Nachrichten nochmals vorzuspielen, beispielsweise eine verzweifelt klingende Stimme: „Wie konntest du mir das antun? Ich dachte, wir wären Freundinnen!” Männer, Frauen, Tränen, Wut, Betrug, Drohungen, Feindseligkeit. „Ist das nicht
heftig
?” hatte sie dann stets hämisch gefragt. „Ist das nicht
traurig
?” Falls Rowena diese Spielchen nicht witzig fand, und das tat sie nie, weil ihre Sympathien stets dem jüngsten Opfer galten, spielte Claudia die Beleidigte. „Du hast keinen Humor, Ro”, warf sie ihr dann vor, um sofort aufzulegen und die Nachricht jemand anderem zu präsentieren, der mehr Sinn für derlei Späße besaß.
    Als Rowena merkte, dass Ian immer noch auf ihre Antwort wartete, sagte sie: „Vielleicht könnten Sie bis Ende nächster Woche schließen. Ich möchte nicht, dass jemand seine Arbeit verliert. Immerhin geht es um … wie viele Angestellte? Acht?”
    „Neun, mich eingeschlossen”, gab er mit deutlicher Erleichterung zurück. „Die Zeiten sind hart, doch das Restaurant ist recht ordentlich gelaufen und hat sich mehr als bezahlt gemacht.”
    Das war ihr nicht neu. Claudia hatte ihr stets voller Stolz berichtet, wie erfolgreich das „Le Rendezvous” war. „Okay”, bemerkte Rowena, die nahezu mechanisch einen vorläufigen Plan festlegte. „Wahrscheinlich werden wir die Aufbahrung auf Montag, den Trauergottesdienst auf Dienstag legen. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, das Ganze lange

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