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Abschied braucht Zeit

Abschied braucht Zeit

Titel: Abschied braucht Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Christof Mueller-Busch
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Bedeutung von Kreativität und Humor in einem Interview:
    »Ich schrieb die ›K-Gedichte‹ zum Thema Krebs und Krankheit, um mir etwas vor Augen zu führen und es mir gleichzeitig vom Leibe zu halten. Die kurze und strenge Form des Gedichts ermöglicht es, anders über die Krankheit zu reden, öffentlich und zugleich privat. Für mich als Patient und Schreiber war es hilfreich, und das kann es für den Leser auch sein. Viele Dichter und Autoren haben Krankheit thematisiert. Heinrich Heine hat Alter, Krankheit, Siechtum und Tod in Gedichten verlacht und zugleich sehr ernst genommen. Ein Krankenzimmer nannte er, schön zweideutig, ›Matratzengruft‹. Hier spricht der Dichter. Der krebskranke Heiner Müller sagte einmal zu einem Journalisten: ›Der Reim lindert das Leiden.‹ Und in Rilkes letztem Gedicht heißt es: ›Komm du, du letzter, den ich anerkenne, heilloser Schmerz im leiblichen Geweb …‹Dichter versuchen für alles Worte zu finden. Natürlich gibt es auch bei mir Tiefpunkte, da hilft meine Frau mir sehr. Ohne sie könnte ich das gar nicht durchstehen. Meine Frau paßt auf mich auf, sie sorgt dafür, daß ich zusätzlich Aufbaupräparate nehme, um das Immunsystem zu stärken. Ich merke schon, daß ich anfälliger geworden bin. Aber wir beide hatten auch während der Krankheit gute Zeiten, zumal in der Toskana … Krankheit als Chance: Meine Hosen passen mir wieder. Ich habe zehn Kilo abgenommen. Das habe ich auch in einem Gedicht über den Hosenkauf beschrieben. ›Krankheit als Chance – Heute beim Hosenkauf.‹ Allem auch eine komische Seite abzugewinnen und lachen zu können war und ist für mich immer wichtig. Aber das kann man nicht erzwingen. Ob die Krankheit mich verändert hat? Ich bin unsicher. Ich weiß, daß ich jetzt achtundsechzig Jahre alt bin und die Lebenszeit kürzer wird. Ich arbeite deshalb nicht schneller oder rauschhafter, aber ich versuche zweierlei: Einmal so etwas wie eine Ideallinie zu fahren – meint, zu dichten oder zu zeichnen – und zweitens, meine Möglichkeiten auszureizen. Das meint zum Beispiel, kompromisslos ernste und unbefangen komische, ja alberne Gedichte zu Papier zu bringen. Unter dem Titel ›Später Spagat‹ wird man zu meinem Siebzigsten nachlesen können, wie das gemeint ist.« 193
    Kants Hinweis, dass neben dem Schlaf und der Hoffnung auch das Lachen eine Möglichkeit ist, den Widrigkeiten und Mühseligkeiten des Lebens etwas entgegenzusetzen, gilt auch – und vielleicht sogar in einer besonderen Weise – für die Situation des sterbenskranken Menschen. Humor ist eine besondere Qualität: die Fähigkeit eines Menschen, schwierigen Situationen und Irritationen so zu begegnen, dass sie in einerentspannenden und erleichternden Form akzeptiert werden können. Trotz Kranksein, trotz Schmerz, trotz Angst, trotz Traurigkeit und Trauer lachen zu können, erleichtert den Umgang mit den Belastungen am Lebensende. Der Theologe und Krankenpfleger Klaus Aurnhammer weist darauf hin, dass Humor ein wichtige Kernressource ist, die Menschen bis zum Tod einsetzen sollten und die im und zum Leben mit Sterbenden und in der Trauer dazugehöre. 194 Wenn auch sehr ernstem, traurigem Geschehen mit Schmunzeln, Heiterkeit und Lachen begegnet wird und man auch im Angesicht des Tode über die Dinge der Welt und über sich selbst lachen kann, so erleichtert dies Distanz, die gerade in Phasen der Trauer und des Abschieds oft notwendig ist. Hinzu kommt, dass in Situationen, in denen Emotionen wie Angst, Traurigkeit und Wut ganz im Vordergrund stehen, durch Humor auch Sprachlosigkeit überwunden werden kann und positives Verstehen gefördert wird.
    Eine sichtlich schwächer werdende ältere Dame versucht, ihren verzweifelten Kindern, die nie mit ihr über Sterben und Tod sprechen wollten, mit einem Witz den Tod zu erklären: Zwei brennende Kerzen unterhalten sich. Fragt die eine die andere: »Meinst du, der Wind könnte uns was antun? »Davon kannst Du ausgehen!« sagte die andere.
    Heiterkeit, Situationskomik und Lachen sollen Gefühle nicht leugnen, sondern diese erträglicher machen und dazu beitragen, auch mit schwierigen Situationen umzugehen. Die Unfähigkeit, zusammen mit schwerstkranken und sterbenden Menschen lachen zu können, geht von einer verbreiteten Haltung aus, dass es angesichts des nahen Todes nichts mehr zu lachen gäbe. Unter Berücksichtigung des heilsamen Potentials von Humor kann man sich allerdings fragen, ob nichtdoch in Sterbe- und Trauersituationen mehr

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