Abschied braucht Zeit
modernen Theorien und im therapeutischen Zusammenhang wird heute im Besonderen auf die soziale Bedeutung des Lachens hingewiesen, als Erfahrung, die neue, oft unerwartete Gemeinsamkeitsgefühle und Zusammenhänge ermöglicht: 188 »Im gemeinsamen Lachen wird eine starke emotionale Nähe zwischen den Beteiligten hergestellt, aus der ein vergnügliches Wir-Gefühl entsteht, das die Gruppenkohäsion festigt.« 189
Bei alldem ist Humor kein Exklusivgut der Gesunden oder Unversehrten. In Anlehnung an Viktor Frankls »Trotzmacht des Geistes« wurde der Humor ebenfalls als Trotzmacht mit therapeutischer Kraft gekennzeichnet, dem gerade in Belastungssituationen eine befreiende und entspannende Wirkung zukommt. 190 Im Kontext der Palliativbetreuung kann Humor eine Situation entkrampfen, Verbindungen herstellen, Leichtigkeit schaffen, die Hemmschwelle für Schweres herabsetzen, Sprachlosigkeit durchbrechen, aufrütteln, betroffen machen, Nähe und Kontakt erleichtern. Mit Humor, der in belastenden Grenzsituationen und somit besonders auch bei helfenden Berufen durchaus Formen des Makabren, des schwarzen Humors annimmt, distanzieren wir uns, atmen tief durch – und kehren dann gestärkt zurück zur Realität. Diese Funktion des Abstandgewinnens kann für die professionellen Begleiter von Sterbenden ein wichtiges Mittel zur Burnout-Prophylaxe sein. Mit Abstand gelingt es in der Begleitung von Schwerstkranken und Sterbenden leichter, nicht alle Kraft zu lassen und nicht auszubrennen.
Humor ist eine Begabung und eine Haltung, die sich mit der persönlichen Geschichte und dem Persönlichkeitsprozess des einzelnen Menschen verbindet. Wer den guten Humor zur rechten Zeit ins Spiel bringt, verfügt über Ressourcen, die den Umgang mit dem Unvermeidlichen erleichtern. Humor relativiert und ist relativ. Dabei ist es wichtig, auch die Grenzen des Humors zu kennen und diese zu achten. Ironie, Schadenfreude, Zynismus und Sarkasmus können sehr verletzen – auch wenn sie manchmal zum Selbstschutz beitragen und sogar notwendig sind. Ein typisches Beispiel: Fragt ein schwerkranker Patient, nachdem er erneut ins Bett geschissen hat, die genervte Schwester beim Säubern: »Warum quälen Sie mich so?« Mit einem freundlichen Lächeln antwortet sie: »Weil ich Sie anders nicht ertragen kann!« So sollte es nicht sein – oder kann es doch so sein? Was ist, wenn beide die Botschaften und Signale verstehen?
In den Gedichten des 2006 verstorbenen Lyrikers, Karikaturisten und Schriftstellers Robert Gernhardt findet sich immer wieder ironische, bisweilen sarkastische Komik, in der das Thema Krankheit und Tod nicht ausgespart wird. In seinen berühmten K-Gedichten hat er die Konfrontation mit dem bei ihm im Jahr 2002 diagnostizierten Darmkrebs im schon unheilbaren Stadium in Erwartung auf den näher rückenden Tod in 50 einmalig einfühlsamen Gedichten aus derSicht des Patienten selbstironisch, trotzig und mit manchmal beklemmender Komik verarbeitet:
Nicht mit mir
Mich gibt es doch nur einmal
Mich kann man doch nicht abserviern
Mich will man halten, nicht verliern
Und – Teufel auch! – begraben.
Ich bin bei Gott ein Einzelstück
So’n Stück gibt man doch nicht zurück
Das hebt man auf und preist sein Glück:
Wie schön, dass wir dich haben! 191
Schon Jahre zuvor war Gernhardt durch eine lebensbedrohliche Herzerkrankung mit dem Tod konfrontiert gewesen und schrieb vor einer Herzoperation sein wohl bekanntestes Gedicht zum Thema Sterben und Tod, in dem er die Todesbedrohung als eine Herausforderung an Humor und Gelassenheit annimmt:
Ach
Ach, noch in der letzten Stunde
werde ich verbindlich sein.
Klopft der Tod an meine Türe,
rufe ich geschwind: Herein!
Woran soll es gehn? Ans Sterben?
Hab ich zwar noch nie gemacht,
doch wir werd´n das Kind schon schaukeln –
na, das wäre ja gelacht!
Interessant so eine Sanduhr!
Ja, die halt ich gern mal fest.
Ach – und das ist Ihre Sense?
Und die gibt mir dann den Rest?
Wohin soll ich mich jetzt wenden?
Links? Von Ihnen aus gesehen?
Ach, von mir aus! Bis zur Grube?
Und wie soll es weitergehn?
Ja, die Uhr ist abgelaufen.
Wollen Sie die jetzt zurück?
Gibt´s die irgendwo zu kaufen?
Ein so ausgefall’nes Stück
Findet man nicht alle Tage,
womit ich nur sagen will
– ach! Ich soll hier nichts mehr sagen?
Geht in Ordnung! Bin schon 192
Wenige Wochen vor seinem Krebstod äußerte sich Robert Gernhardt in Erwartung des nahen Todes über seine Krankheitserfahrung und zur
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