Abschied braucht Zeit
Raum für Heiterkeit und Lachen sein sollte.
Frau H. hatte einen wunderbar feinsinnigen, aber auch makabren Humor. Nirgendwo hörte man so oft herzliches Gelächter wie in ihrem Zimmer – auch noch, nachdem sie sich zur Beendigung der Dialysebehandlung entschieden hatte. »Ja, wenn ich es nicht mehr schaffe, andere auf den Arm zu nehmen, dann muss ich es bei mir selbst versuchen, auch wenn ich weiß, dass das nicht einfacher ist«, sagte sie einmal. Eines Morgens hörte ich deutliches Lachen aus ihrem Zimmer. Da ich wusste, dass sie gerade keinen Besuch hatte, ging ich hinein, um den Grund der Heiterkeit herauszufinden. Ich fand Frau H. lachend in ihrem Bett und fragte, was sie denn so amüsiert habe. »Ach«, sagte sie, »eigentlich nichts. Ich habe nur an den Witz über die Krankenschwester gedacht, die verzweifelt versucht, eine sterbende Patientin zu wecken: ›Was machen Sie denn da?‹, fragt ihre Kollegin. ›Ich muss sie unbedingt wachkriegen, sie hat vergessen, ihre Schlaftabletten zu nehmen …‹« Und dann erinnerte mich Frau H. daran, es beim Ausfüllen ihres Totenscheins nicht so zu machen, wie jener Arzt, der in der Rubrik »Todesursache« seinen eigenen Namen angegeben hatte. Wenige Tage später starb sie, und beim Ausfüllen ihres Totenscheins konzentrierte ich mich sehr darauf, mich nicht selbst als Todesursache einzutragen.
Humor in der Begleitung eines sterbenskranken Menschen bewegt sich immer noch in einer Tabuzone. Für den Umgang mit belastenden Sterbesituationen hat er aber eine wichtige Schutzfunktion. In der kürzlich publizierten Untersuchung Wie viel Tod verträgt das Team? wurde neben der Möglichkeit,sich im Team auszutauschen, von über 90 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Palliativeinrichtungen Humor als wichtigster Schutzfaktor im Umgang mit dem Tod genannt. 195 Allerdings brauchen Lachen und Humor einen geschützten Raum, in dem sie sich entfalten können. So dient untereinander zu lachen den professionellen Betreuern schwerstkranker Menschen als Ventil, um alltägliche Belastungen erträglicher zu machen, während gleichzeitig viele Pflegende und Ärzte immer noch Hemmungen haben, das Lachen auch in der unmittelbaren Begegnung mit fortgeschrittenen Erkrankungssituationen systematisch einzusetzen.
Die Fähigkeit, erschütternden, traurigen oder unangenehmen Situationen mit Humor zu begegnen, erfordert die Bereitschaft, sich selbst in solchen Situationen auch mit Abstand begegnen zu können. Dabei entsteht gerade in einer von Humor und Heiterkeit getragenen Beziehung vertrauensvolle Nähe und Verbundenheit.
In diesem Zusammenhang ist es beinahe erschreckend, dass die wohltuende Wirkung von Humor im Umgang mit Schwerstkranken, Sterbenden und ihren Angehörigen in kaum einem der Lehrbücher der Palliativmedizin und Palliativpflege beschrieben wird. Und dennoch gibt es inzwischen Einrichtungen in der Palliativ-, Hospiz- und Altenpflege, die humorvolle Anekdoten und Begebenheiten systematisch in Büchern sammeln oder die in Aufenthalts-, Waschräumen und Toiletten Comics aufhängen. So pflegt das Team der Palliativstation Völklingen z.B. ein stetig wachsendes Wörterbuch palliativen Blödsinns. 196 Humor und amüsante Anekdoten haben auch in der Trauer eine wichtige Funktion. Bei Trauerfeiern und beim gemeinsamen Erzählen in der Erinnerung an Verstorbene werden oft Tränen des Lachens vergossen, die den Ablösungsprozess aus der emotionalen Gebundenheit erleichtern. 197
Die emotionalen Tränen, die beim Weinen oder beim herzhaften Lachen produziert werden, sind übrigens andere Tränen als die, die wir zur Befeuchtung und zum Schutz des Auges brauchen. Emotionale Tränen haben eine psychisch regulierende Funktion, sie erleichtern und beruhigen; in ihnen wurden Stoffe nachgewiesen, die in Stresssituationen und zur Schmerzregulation ausgeschüttet werden. Tränen haben aber auch die Funktion, bei anderen Aufmerksamkeit und Mitgefühl zu erregen, weswegen kaum etwas Menschen so verbindet wie gemeinsam geweinte oder gelachte Tränen in der Trauer.
Kapitel 14
Wie ich sterben will – was ist mein guter Tod?
Sterben. Das Sterben scheint »eine bloß mechanische Reaktion der Lebenskraft und vielleicht eine sanfte Empfindung des allmählichen Freiwerdens von allem Schmerz zu sein«.
I. Kant, Anthr. i. T., § 27
Immer mehr Menschen beschäftigen sich mit der Frage, wie sie sterben möchten, was für sie ein guter Tod wäre. In diesem letzten Kapitel möchte ich nun
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