0292 - Satans Knochenuhr
Groß erschien das Gesicht der Hexe. Sie war nicht mehr so jung, hatte die 40 schon überschritten. Ein hartes Leben hatte Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Tiefe Falten, die wie kleine Gräben in ihrer Haut lagen.
In den Augen spiegelte sich der Schrecken wider, den die angebliche Hexe empfand, während die Flammenzungen immer näher kamen und die Gluthitze ihre Haut bereits schrumpfen ließ. Ihre Henker standen abseits. Noch immer hielten sie brennende Pechfackeln in den Händen.
Plötzlich kam Bewegung in sie, denn in ihrem Rücken hatte sich ein Mann an sie herangeschlichen, rammte beide Fäuste zur gleichen Zeit vor und schleuderte die Männer zur Seite. Der Mann hatte freie Bahn.
»Claire!« brüllte er mit sich überschlagender Stimme. »Claire, was haben diese Schweine nur mit dir gemacht? Mein Gott…«
Er war durch nichts mehr aufzuhalten. Zwar wurde es versucht, doch der Mann entwickelte Bärenkräfte. Einen Häscher warf sein Fausthieb in die Flammen hinein, einem zweiten Mann zerschmetterte er das Nasenbein, um danach selbst mit gewaltigen Sätzen auf das hochlodernde Feuer zuzurennen.
Niemand hielt ihn mehr.
Er stürzte in die Flammen hinein. Als seine Füße das glimmende und brennende Holz zusammentraten, flogen Funkenbahnen in die Höhe und bildeten funkelnde Wolken vor rot blitzender Farbe. Es war der reine Wahnsinn oder Selbstmord, was der Mann da tat, aber darauf schien es ihm nicht anzukommen. Für ihn war es wichtig, die am Pfahl angebundene Frau zu erreichen. Längst hatte ihn das Feuer eingeschlossen. Für die Zuschauer war er nur als hin- und herhuschender Schatten zu sehen, der von langen Feuerzungen umhüllt wurde. Er brannte.
Aber er schaffte es, sich durch die Hölle zu wühlen und auch das Podest zu erklimmen. Plötzlich sah ihn die Hexe dicht vor sich. Einen Menschen, dessen Haare zu feurigen Lohen geworden waren und der sich mit dem Mute der Verzweiflung gegen die Frau warf. »Claire!« schrie er mit letzter Kraft. »Wir sterben gemeinsam!«
Es war furchtbar. Von den Zuschauern wandten sich einige Frauen ab, weil sie es nicht mehr mit ansehen konnten, und es war der Mann, der die angebliche Hexe in Flammen setzte. Er hatte sich so hart und wuchtig gegen sie geworfen, daß das Feuer einfach zupacken mußte. Im nächsten Augenblick brannten beide.
Die Schreie der Hexe verstummten. Es schien, als hätte das Feuer ihren Widerstand auf diese Weise gelöscht.
Und dann geschah etwas Unheimliches. Kurz bevor die Flammen über beiden zusammenschlugen, veränderte sich die Frau. Über ihre Gesichtszüge schoben sich neue, andere, die einer völlig fremden Person gehörten, die eigentlich nichts mit der Szene zu tun hatte. Aber jemand kannte die Person und schrie den Namen. »Sheila Conolly, mein Gott!«
***
Es war Sarah Goldwyn, die Horror-Oma, die den Namen der Frau gerufen hatte. Sie reagierte auch weiter, drückte auf den Knopf der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus.
Wie erstarrt hockte die Horror-Oma in ihrem bequemen Sessel. Sie sah nicht, wie sie bleich wurde, aber sie merkte, daß das Blut aus ihrem Gesicht wich.
Die Hände lagen auf den Sessellehnen, die Finger zitterten und trommelten mit den Spitzen auf das harte braune Holz. Was sie da gesehen hatte, war ungeheuerlich. Sie fand keinen Ausdruck für dieses Phänomen, oder hatte sie sich getäuscht?
Fast fürchtete sie sich ein wenig davor, den Apparat wieder einzuschalten. Zuvor ließ sie den Film ein Stück zurücklaufen und konnte die Szene noch einmal erleben.
Als der brennende Mann gegen seine am Pfahl stehende Ehefrau fiel, da schaltete die Horror-Oma die Zeitlupe ein, denn sie wollte auf dem Bildschirm genau verfolgen, ob sie auch wirklich keiner Täuschung zum Opfer gefallen war.
Sehr genau schaute sie hin, nahm dabei sogar auf der Sesselkante Platz und fand sich voll bestätigt.
Über das Gesicht der Hexe im Film schob sich das der bekannten Persönlichkeit Sheila Conolly.
Mit dieser letzten Einstellung lief der Film auch aus, denn der Begriff »the end« erschien.
Sarah Goldwyn lehnte sich wieder zurück. Sie atmete flach. Aus ihrem Mund drang ein tiefes Stöhnen, wobei sie ein paarmal den Kopf schüttelte: Begreifen konnte sie es nicht.
Was hatte Sheila Conolly in diesem Film zu suchen? Minutenlang blieb Sarah Goldwyn sitzen, dachte nach, wobei sie es nicht schaffte, ein Ergebnis zu bekommen.
Danach stand sie auf. Mit müden Schritten ging sie zur Tür, um den Lichtschalter umzulegen.
In
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