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Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Titel: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Boscher
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schließe doch einfach die Augen...
    Wie verlockend dies klang nach den Tagen beinahe ohne Schlaf. Du kannst doch auch morgen weiterschreiben! So verlockend, obwohl ich genau wusste, dass es für mich keinen erholsamen Schlaf mehr gab. Schließe doch einfach die Augen! Und ich hatte den Stift auch wirklich bereits zur Seite gelegt. Morgen ist auch noch ein Tag! Ja, meine Hand befand sich bereits an der Schreibtischlampe, um das Licht zu löschen, da erblickte ich aus dem Augenwinkel die Schatten an der Wand. Es waren ihrer viele. Sie wimmelten und wuselten über die grobe Struktur der Raufasertapete, ich hörte sie vielstimmig flüstern: Schlaf! Ja, schlafe! Hätte ich ein Tintenfass in Griffweite gehabt, so hätte ich es nach ihnen geschleudert. So warf ich ihnen meinen Radiergummi entgegen. Augenblicklich verstummten die Stimmen, aber starr vor Schrecken musste ich mit ansehen, wie sich nun die Schatten aufbäumten, wie sie versuchten, sich von der Wand zu lösen, um, da war ich mir sichern, nach mir zu greifen. Dazu aber besaßen sie offensichtlich nicht die Macht. »Ihr könnt mir gar nichts!«, schrie ich erleichtert.
    Noch nicht, dachte ich entsetzt, während die Schatten nun stumm, und wie ich fand lauernd, über die Wand glitten und mich beobachteten. Ich entzündete, noch am ganzen Körper zitternd, jedes Licht in meinem Zimmer, dessen ich habhaft werden konnte. Die Deckenbeleuchtung, die Lampe am Bett, die Lichter im Bad, alle Kerzen, die ich in der Nachttischschublade aufbewahrte, ich schaltete den Fernseher ein, das vertrieb meinen unheimlichen Besuch und langsam, eine Kerze in der Hand haltend, beruhigte ich mich.
    Dann nahm ich das Blatt aus dem Stapel Papier auf dem Tisch heraus, auf welchem ich meinen Traum beschrieb. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ihn aufzuschreiben, dachte ich. Ihn nach dem Motto Was du auf dem Papier hast, hast du nicht mehr im Kopf! ans Licht zu zerren und ihm so ein gewisse Materialität außer mir zugeben. Aber wer hätte denn ahnen können, dass das, was auf dem Papier ist, nicht dort bleiben würde?
    In einem ersten Impuls hielt ich das Blatt Papier an die Kerze, welche ich auf den Tisch gestellt hatte, doch als die Flamme das Papier erfasste und begann, sich vom Rand in die Mitte zu meinem Traum zu fressen, löschte ich sie wieder. Nicht das Aufschreiben war das Problem, sondern der Traum selbst. Denn die Schatten hatten mich davon abbringen wollen, zu schreiben. Sie hatten gewollt, dass ich schlafe – und ich war mir sicher, dass sie wollten, dass ich träume. Aber warum?
    Ich blickte zur Wand und dachte an den unheimlichen Moment, als die Schatten versuchten, sich von ihrer Oberfläche zu lösen, nach mir zu greifen. Sie waren glücklicherweise nicht in der Lage gewesen, dieses Kunststück zu vollbringen. Noch nicht , hatte ich gedacht. Ja, noch nicht, weil sie zu schwach gewesen waren. Also musste ihnen, so überlegte ich, mein Schlaf, mein Traum, Stärke verleihen. Sie nähren. War es Hunger, der sie versuchen ließ, mich in den Schlaf zu flüstern?
    Ich goss mir noch einen starken Kaffee ein und schluckte eine Tablette. Eines war jenseits aller Fragen klar wie Kloßbrühe: Ich musste wach bleiben. Ich durfte mich nicht beirren lassen, mich nicht irremachen lassen. Ich griff nach dem bereits halb beschriebenen Blatt Papier, an dem ich in dem Moment gearbeitet hatte, als mich die Schatten heimsuchten. Ich las: »Und so gerne ich auch Auto fahre, und vor allem über lange Strecken, und wenn die Sonne scheint, war der Gestank im Fahrzeuginneren doch kaum noch auszuhalten gewesen. Von den Fliegen mal ganz abgesehen. Außerdem schien die Sonne eh kaum noch, es regnete ohne Unterlass.«In diesem Moment rührte sich nicht zum ersten Mal mein schlechtes Gewissen. Viel zu lange war ich der Notwendigkeit, mein Auto zu reinigen, aus dem Weg gegangen. Ich ging zum Fenster und blickte hinaus auf die Straße, die im Schein einer Laterne regennass schimmerte. An der Laterne hing, wie ich wusste, ein Mülleimer, auf dem, wie auf vielen weiteren Mülleimern im Stadtgebiet, ein Schild mit folgender Aufschrift prangte: Sauberer isch Konstanzerischer!
    Warum nicht! , sagte ich mir. In diesem Moment hielt ich es für eine sehr gute Idee, gleich nach Tagesanbruch das Zimmer zu verlassen und mich um mein Auto zu kümmern. Ich Narr.
     
    2.
     
    Der nächste Morgen war von einer eindringlichen Schönheit, für die man Worte strahlender Erhabenheit finden müsste. Der Regen machte eine

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