Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
der Traum nicht. Da zeigt sich gar nichts. Also warum weiter mit meinem Schweigen diesen Traum aufwerten? Also, um es kurz und schmerzlos zu machen, was man auf dem Papier stehen hat, braucht man nicht mehr im Kopf zu haben:
Kaum, dass ich jetzt meine Augen schließe, stehe ich in der Kneipe hinter dem Tresen, in den Händen halte ich ein Buch, dessen Titel nicht zu erkennen ist. Obwohl ich die einzige Seele im Raum bin, lese ich nicht, sondern blicke vielmehr zur Türe, als würde ich jemanden erwarten. Jemanden Unangenehmes, denn meine Hände zittern. Und dann tritt die Unscheinbare herein. Nicht, dass diese Gestalt, die da stockenden Schrittes auf mich zuschwankt, Patsch Patsch macht sie bei jeder ihrer Bewegungen, sonderlich unscheinbar ausschauen würde, ja, eigentlich sieht sie der Frau, die mir den Bierdeckel gegeben hat (so dreckig sie von ihrem Sturz auf dem Parkplatz auch gewesen war), überhaupt nicht ähnlich, weil, ja, weil sie noch nicht mal menschlich aussieht, eher wie eine bizarre Zusammenklumpung von Matsch, die entfernt an eine Form erinnert, die menschlich sein könnte, an einen dilettantisch aus Dreck geformten Golem, aber: Sieht diese Gestalt auch nicht wie die Unscheinbare aus, so weiß ich doch, dass es sie ist, die sich mir nähert, während ich unfähig bin, mich zu rühren, als hätte ihr Anblick mich in Fesseln geschlagen. Gefesselt von ihrem Anblick starre ich ihr entgegen, Patsch Patsch, sehe sie etwas nach mir ausstrecken, das ein Arm sein könnte. Eine Hand, die nur noch einen halben Meter von mir entfernt ist. Sehe eine Art Lächeln in der Masse, die ihr Kopf sein könnte. Diese Masse, welche sich nun, nachdem das Lächeln verschwunden ist, zu bewegen beginnt, als würde es dort von irgendwelchen, kriecheligen Tieren wimmeln, von Würmern vielleicht, ein Wimmeln und Wuseln, das aber dennoch ein gewisses Muster erkennen lässt, als gäbe es da eine Kraft, der diese kriechenden, sich windenden Körpern gehorchen, eine Art Künstler, der mit Würmern malt, der etwas malt, etwas, was mir entfernt bekannt vorkommt, ein Gesicht vielleicht, ja, die Gesichtszüge von...
Aber bevor ich dem, was da im Entstehen begriffen ist, einen Namen geben kann, berührt mich diese Hand und erwache ich schreiend. So weit so gut. Aber was mir zu denken gibt, ist, dass ich nicht allein vor Entsetzen schreie, weil dieses Matschdings mich anfasst, sondern vor allem deswegen, weil ich diesen Gesichtszügen, die ich da sehe, ohne sie wirklich zu sehen, keinen Namen zuordnen kann. Als ob das eine Rolle spielen würde. Ich halte es da lieber mit Freud. Denn manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre, und dieser Traum ist nur ein Traum. Eine Schlafkomplikation, eine Art geistiges Schnarchen aufgrund verstopfter Nebenhöhlen, welches sich legen wird, sobald ich mein Gehirn wieder richtig durchgepustet habe. Also bald, wenn ich zur Ruhe gekommen bin.
In der Ruhe liegt die Kraft. Und die ist mir in meiner Rastlosigkeit verloren gegangen. Doch nun ist es mit dieser Rastlosigkeit vorbei, Konstanz ist das, was ich jetzt brauche, und dann werden sich die Dinge wieder in meinem Sinne ordnen.
Zufall oder Schicksal, dass es mich so weit nach Süden verschlug? Egal. Wer immer die Finger im Spiel hatte, dass die Autobahn aufhörte, es war sehr vorteilhaft, in Konstanz einen Halt einzuschieben, um die Unscheinbare nochmals anzurufen. Ich meine, ich kann mir schlechtere Orte vorstellen, um mich zu betrinken, den Bierdeckel zu verlieren und zu vergessen, wo ich mein Auto abgestellt habe. Das dachte ich jedenfalls nach jener kopflosen Nacht, als ich auf einer Bank am Hafen erwachte und sich die Sonne aus dem rötlichen See erhob.
4.
Es war ein milder Morgen, endlich regnete es auch mal nicht, und es dauerte nicht lange, bis sich meine tauben und ausgekühlten Glieder erwärmten. Dann bemerkte ich, dass ich den Bierdeckel verloren hatte und ich mich nicht mehr daran erinnern konnte, wo ich mein Auto abgestellt hatte. Wäre ich in einer anderen, einer größeren Stadt erwacht, dann hätte mich der Verlust nicht nur geschockt, sondern aus der Bahn geworfen. Verkehrslärm um mich herum, Tausende von geschäftigen Menschen und ähnliche städtische Unbilden geben nicht gerade den rechten Rahmen her, um durchzuatmen und zu versuchen, die Fassung nicht zu verlieren. Da bin ich wohl doch zu sehr ein Kind vom Lande.
Aber der weite Blick über den See erinnerte mich an die flache, weitläufige Landschaft am Niederrhein, wie
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