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Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Titel: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Boscher
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an den Kragen! This ist your end, my friend!
    Ich wandte mich wieder dem Gitarrenspieler zu, mir sicher, dass er mich mit einem Clowngrinsen ansah. Das tat er aber nicht, er war nur ein müde aussehender Mann mittleren Alters, der routiniert seine Weisen spielte, und noch nicht einmal in meine Richtung blickte. Und was er spielte, war auch nicht der Doors-Song, sondern irgendetwas, wovon ich zwar die Melodie, aber nicht den Titel kannte. Einen Augenblick lang zweifelte ich wieder mal an meinem Verstand. Das konnte echt zur Gewohnheit werden. Hatte er überhaupt The End gespielt? Dieser Moment der Zweifel, ja, des Verzweifelns dauerte aber nur ein, zwei hastige Atemzüge an, dann bemerkte ich etwas, das unmissverständlich klar machte, dass ich mit meinem Gefühl der ängstlichen Angespanntheit richtig lag. Womit es mir allerdings auch nicht besser ging. Nein, ganz und gar nicht besser ging es mir damit, dass die Menschen, die an mir vorbeiflanierten, nein, nicht alle Menschen, die Frauen, dass die Frauen, die an meinem Platz auf der Bank vorbeigingen, auf eine ebensolche Weise von innen herausleuchteten, wie es die Luftballons getan hatten.
    Ich rechnete damit, sie jeden Augenblick platzen zu sehen und versuchte, mich so gut wie irgend möglich auf diesen Anblick vorzubereiten. Auf den Gedanken, mich abzuwenden, kam ich nicht. Doch zu meiner Erleichterung bewirkte dieses Brennen keineswegs, dass die Gesichtshaut der Frauen schwarze Blasen warf. Dies blieb mir erspart. Die Haut wurde nicht schwarz, sondern vielmehr immer heller, durchscheinender, als stünden die Frauen vor einer intensiven Lichtquelle, die so eine Art Röntgenstrahlen ausstrahlte. Das sah aus, als würde das Innerste der Frauen nach außen gestülpt, was ihnen auch dieses verzehrte Aussehen verlieh. Ihre Kleidung, ihre Gesichtshaut, ihre Haare, die Haut an ihren Händen und Armen verschwand in all dem, was unsichtbar unter ihnen verborgen gewesen war und nun zum Vorschein kam: Blasses Fleisch und darin eingebettet ein Geflecht aus pulsierenden Adern. Schlingen von rosafarbenen Eingeweiden wurden sichtbar. Ins rot schimmernde, pumpende Herzen, einmal sogar konnte ich ein Embryo im verschlungenen Körperinneren der Mutter erkennen. Dann wurden auch diese Eindrücke blasser und fahl kamen die Knochen zum Vorschein, Skelette, die an mir vorbeiflanierten, als gäbe es all das nicht, was ich da sah.
    Und dies war das Unheimlichste an all dem. Ich schien wahrhaftig der Einzige zu sein, der all das sah. Kinder liefen wie eh und je neben ihren Müttern her, die durch dieses Licht auf geradezu obszöne Weise vor mir aufgeblättert worden waren. Knochenhände, an denen da und dort noch Reste durchscheinenden Fleisches hingen, hielten Kinderhände, die in ihrer unversehrten Kompaktheit grotesk wirkend. Genauso grotesk wie die Männer, die den Frauen hinterher blickten, offensichtlich beeindruckt von einer äußeren Schönheit, an derer statt ich nur wandelnde Skelette sah. Skelette, die nun vor meinen Augen ebenfalls ihre Festigkeit verloren und allmählich im Licht verschwanden, das nun nicht mehr aus den Frauenkörpern hervorzubrechen, sondern seinen Ursprung augenscheinlich außerhalb all dieser gewesenen Leiber zu haben schien.
    Dann sah ich die Quelle des Lichts und mein Mageninhalt ergoss sich zwischen meinen hastig erhobenen Händen hindurch auf das Pflaster der Marktstätte. Die hatten sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen, um meine zum Zerreißen gespannten Nerven noch ein wenig mehr zu strapazieren.
    Ein wenig Konstanz wird dir gut tun! hatte sie mir gesagt, und: Bleib’ auf deinem Platz, und du wirst die Welt in Händen halten! Was ich aber nun in Händen hielt, war mitnichten die Welt, und gut ging es mir damit auch nicht. Einen Moment lang hoffte ich noch, dass ich mich irrte. Dem aber war nicht so. Auf ihren hochgereckten Händen aus Stein wurden weltliche wie geistliche Macht ein Raub der Flammen. Ihre Asche verwehte der Wind. Auch ihre gewaltigen, nur halb von dem gewagt geschnittenen Kleid bedeckten Brüste brannten. Das sah aus, als würden Feuerwürmer aus ihrem Ausschnitt kriechen. Ihr Gesicht war in der Hitze kaum auszumachen. Aber ihre Brüste brannten nicht nur. Vielmehr hoben und senkten sie sich, wie es bei Menschen der Fall ist, die schwer atmen, und nicht allein, dass sie also atmete, sie hatte darüber hinaus ihren Platz auf dem Podest verlassen und kam über den Steg, an dessen Ende sie normalerweise hoch über dem Hafen

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