Abschied und Wiedersehen
»Na, djenn laßt es euch man gut schmiecken...« Eine herzensgute Frau, die mir jedesmal, wenn ich den Alfred besuchte - und das geschah nicht gerade selten -, irgend etwas Nahrhaftes aus der Speisekammer in den Mund steckte. »Kannst du eigentlich Skat spielen?« fragte Alfred, während wir die Suppe mit dem dicken Inhalt von geplatzten Leber- und Grützwürsten löffelten.
»Ob ich Skat spielen kann? Mann, Skat habe ich von meinem Großvater gelernt, als ich noch kaum übern Tisch kieken konnte!«
Er schien von meinen Skatkünsten weniger überzeugt zu sein als ich: »Wenn du willst, können wir ja nachher zum Reske gehen, und dann wird sich zeigen, ob du die Schnauze nicht allzu voll genommen hast. Der Kurt Reske hat schon, als einmal der dritte Mann fehlte, mit dem Rektor Schmittat Skat gespielt und ihm einen Grand mit zweien abgenommen!«
Rektor Schmittat schien der Bartensteiner Skat-Matador zu sein. Er war wirklich ein Skat-Genie. Und daß Kurt Reske mit dem Meister spielen durfte, geschah nur einmal und war eine einmalige Ausnahme, weil ein dritter Mann nicht aufzutreiben war. Denn mit Schnoddernasen spielte der Rektor nicht. Nun, Kurt Reske war zum mindesten ein Skat-Talent, und er zeigte mir bald, daß ich ein blutiger Anfänger war, vom Ausreizen eines Blattes keine Ahnung und überhaupt noch viel zu lernen hatte. Hier wurde mit Schikanen gespielt, die ich nicht einmal vom Hörensagen kannte. Da gab es nicht nur Contra und Re, sondern Hirsch, Hund, Kaiser, Papst und Oberpostsekretär und Schieberramsch und das Auslegen von Patrouillen. Solide Spieler meinten allerdings, damit würde der Skat zum Hazardspiel entwürdigt...
Die Eltern von Kurt Reske besaßen in der Königsberger Straße ein Hutgeschäft. Das kleine Schaufenster war bis auf ein handgeschriebenes Schild, daß Hüte zum Reinigen und Fassonieren angenommen würden, leer, und leer war auch das hohe Regal im Laden. Seit dem Kriege war ein knappes halbes Jahr vergangen, und die Hutfabriken besaßen noch kein Material, um die Betriebe wieder anlaufen zu lassen. Es ist anzunehmen, daß die Eltern von Kurt einige magere Jahre zu überstehen hatten, bis das Geschäft wieder in Schwung kam. Aber das ließen sie sich nicht anmerken. Besonders der Vater Reske besaß einen unverwüstlichen Humor, den ich bei meinem Vater so sehr vermißte. Und wieder einmal mußte ich feststellen, wie jung doch die Eltern meiner Mitschüler im Vergleich zu meinen Eltern, vor allem zu Vater, waren, der mit seinem schneeweißen Vollbart noch älter wirkte, als er mit seinen knapp sechzig Jahren in Wirklichkeit war. So alt wie er waren sonst die Großväter meiner Freunde; aber das hatte auch einige Vorteile, denn er war mit den Jahren doch bedeutend ruhiger geworden, seine Zornesausbrüche kamen seltener und klangen, als hätte er auf die Stimmbänder eine Sordine gesetzt. Auch imponierten mir die Väter der Freunde mehr als der eigene Vater, weil die meisten von ihnen den Krieg an der Front mitgemacht hatten, Narben und Orden vorweisen konnten, von den Grabenkämpfen in Frankreich erzählten und es, wie der Vater von Walter Tichauer, obwohl er >mosaischen Glaubens* war, in der Rangordnung bis zum Hauptmann gebracht hatten. Weniger imponierte mir allerdings, daß diese Väter, die ihre Söhne vier oder fünf Jahre lang der mütterlichen Erziehung hatten überlassen müssen, sich nun vor die Aufgabe gestellt sahen, die in den meisten Fällen reichlich verwilderten und der Autorität entwöhnten Knaben wieder zur Raison zu bringen. Bei meinem Vater hatte sich im Lauf der Zeit ein kleiner Wandel vollzogen, er appellierte an mein Verantwortungsbewußtsein oder versuchte wenigstens, es zu wecken, indem er mehr als einmal sagte: »Tu, was du nicht lassen kannst, aber friß das, was du dir in der Schule oder außerhalb der Schule einbrockst, gefälligst selber aus und verschon mich mit solchen Querelen.« -Das tat ich denn auch in Zukunft nach bestem Vermögen, unterschrieb blaue Briefe, die gelegentlich eintrafen, mit seiner ganz ausgezeichnet nachgeahmten Unterschrift selber und ersparte mir und ihm dadurch viel Ärger.
Vater hatte mich bereits in den letzten Tagen des alten Schuljahres im Bartensteiner Gymnasium angemeldet und dabei den Direktor der Schule, Professor Dr. Kröhnert, kennengelernt, einen Mann, von dessen weitläufig jovialer Art er sehr angetan schien. Mir kam das wenig geheuer vor, denn es geschah zum ersten Mal, daß Vater einen >Schulmeister< sympathisch
Weitere Kostenlose Bücher