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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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fand. Vielleicht hatten die Herren deshalb aneinander Gefallen gefunden, weil beide Bismarckverehrer waren und ihre Verehrung durch das Tragen breitkrempiger Hüte nach außen hin dokumentierten. Nun, noch waren Ferien, und ich nutzte sie aus, um in der kleinen Stadt herumzustrolchen und mich mit den zukünftigen Klassenkameraden gegenseitig zu beriechen. Aus der Großstadt mit ihren vielfältigen Unterhaltungsmöglichkeiten kommend, konnte mir das kleine Nest nicht sonderlich imponieren. Für Sehenswürdigkeiten war ich noch nicht aufgeschlossen, an den alten Pruzzensteinen ging man bald achtlos vorüber, und ob das Heilsberger Tor nun Backsteingotik oder sonst was war, bewegte mich nicht im mindesten. Die Stadt war eine
    Gründung des Ritterordens und hatte einst unter dem Schutz einer Burg gestanden, aber sie war längst geschleift worden. Auf ihren Grundmauern erhob sich, im romantisierenden Schauerstil des neunzehnten Jahrhunderts erbaut, mit gotischen Fenstern, romanischen Portalen und vielen Erkern und Türmchen das Landratsamt, in dem ein Herr v. Gottberg residierte. Die Alle schlug um die Stadt einen weiten Bogen, ein klarer, sanft dahinströmender Fluß, der heimliche Anglerfreuden versprach. Am meisten versöhnte mich noch mit dem Ortswechsel der idyllisch gelegene Sportplatz im Schützenpark. Wenn man die eiserne Allebrücke überquert und bald darauf die hohen Bögen des Eisenbahnviaduktes passiert hatte, erblickte man in dem Flußtal, rechterhand von der Alle und links von der begrünten, ziemlich steil ansteigenden Moräne umschlossen, die Tennisplätze und den Spielrasen mit den beiden Fußballtoren. Linden und Kastanien säumten und überschatteten einen breiten Spazierweg, der am Fluß entlanglief und sich in parkähnlichen Anlagen verlor. »Mann!« sagte ich ehrlich begeistert zu Kurt Reske, der neben mir hertrabte, und dachte dabei an den staubigen, sonnendurchglühten Walter-Simon-Platz auf den Hufen. »So was haben wir in ganz Königsberg nicht gehabt, daß man nach dem Spiel gleich ins Wasser springen kann...«
    »Und während des Spiels!« grinste er. »Denn was glaubst du wohl, wie oft man hier, wenn ein Paß danebengeht, dem Ball nachschwimmen muß.«
    Ich tippte auf die blauweiße Anstecknadel an seiner Jacke: »Daß ich bis jetzt nicht Fußball gespielt habe, weißt du ja, aber könnte ich trotzdem in euren Verein eintreten?« »Ich werde mal mit unserem Präsidenten reden. Er heißt Nietzki. Sein Alter ist unser Superintendent...« Ich sah ihn fragend an, denn dieser Titel begegnete mir zum ersten Mal.
    »Stell dich doch nicht so dämlich an«, sagte er, »das ist der oberste Pfarrer im Landkreis. Er wohnt in dem großen Pfarrhaus neben der Kirche. Du bist doch evangelisch, oder?«
    »Klar, daß ich evangelisch bin, aber mit der Kirche haben wir eigentlich nicht viel zu tun...«
    »Wir auch nicht, mein Alter überhaupt nicht, nur die Mutter schleppt uns manchmal hin. Mann, wenn der Super nicht zu predigen aufhört, und draußen scheint die Sonne, nee, das is nuscht für meinem Papa sein’ Sohn!« Die wenigen verbleibenden Ferientage genügten vollauf, die kleine Stadt gründlich und einen Teil meiner zukünftigen Klassenkameraden wenigstens dem Namen nach und oberflächlich kennenzulernen. Walter Tichauer, dessen Vater das Eisengeschäft am Markt gehörte, Bruno Terzenbach und Gerd Grawert, beide begeisterte »Wandervögel*, die Brüder Bachler, Zwillinge wie meine Freunde Wallowitz, aber ohne deren Unternehmungslust, Benno Stärker, der im Fußballclub Bartolonia Mittelstürmer spielte, und Johannes Thiergart, der die Schule früh verließ, Banklehrling wurde und in der Inflation das Glück hatte, in die Devisenabteilung seiner Bank zu kommen. Dort spekulierte er so geschickt, daß er, während wir uns mit der Anabasis plagten, mit ein paar Dollar in der Tasche Häuser und Grundbesitz erwarb. Natürlich kniete ich Vater auf der Brust, auch mich in die Banklehre zu schicken, biß aber bei ihm auf Granit und mußte, als der Traum des Banklehrlings Thiergart, ein reicher Mann zu sein, über Nacht wie eine Seifenblase zerplatzte, kleinlaut eingestehen, daß Vater wieder einmal recht gehabt hatte. Ein großer Teil der Klasse trudelte erst am letzten Ferientag ein. Es waren Gutsbesitzerssöhne, die ihre Ferien daheim verbracht hatten. Unter ihnen der lange Heinz v. Messling und Graf Mortimer zu Eulenburg-Prassen, ein mädchenhaft zarter Junge, der mit wahrer Leidenschaft an seinen

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