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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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die rechte Freude am Essen für einige Zeit vergangen. Die Nadel behielt der Doktor, um sie zu der Sammlung von Dingen zu legen, die er schon aus menschlichen Leibern herausoperiert hatte. Und als Großmutter nach einigen Tagen bei ihm vorsprach, um zu fragen, was wir ihm schuldeten, da sagte er, für den Rat, Kartoffelbrei zu kochen, könne er nichts aufrechnen, denn das Rezept stände schließlich in jedem Kochbuch. So war Dr. Höfer. Wir hätten ihn in den folgenden Jahren gern konsultiert, um uns zu revanchieren, aber für die Krankheiten, die sich bei uns einstellten, genügte die Hausapotheke.
    Ein guter Einstand in Bartenstein war das nun wirklich nicht gewesen. Ich konnte nur hoffen, daß es besser weitergehen würde. Von der Nadel erlöst, begann ich mich wieder für das Leben zu interessieren. Das Wetter blieb kalt, regnerisch und unfreundlich. Das Fest war auf einen frühen Termin gefallen und der Frühling noch fern.
    Trotzdem zog es mich auf die Straße, schon, um die neue Umgebung kennenzulernen und vielleicht Kurt Reske wieder zu begegnen. Ich stromerte eine Weile durch die Stadt, entdeckte hinter einem Vorplatz mit kahlen Kastanienbäumen das Gymnasium und sah mir den Eingang und die Fensterfront mißtrauisch an, denn weiß der Himmel, was es mir bringen mochte. Einen Dr. Metzger, der für schlechte Arbeiten gute Noten verteilte, gab es hier bestimmt nicht...
    Das Wasser des kleinen Sees hinter der Molkerei trug noch eine Eisschicht, aber das Eis war grau, brüchig und trug nicht mehr. Auf dem Weg über den Anger entdeckte ich in einem Rondell mit Bänken einen merkwürdigen Steintisch und zwei seltsame, kegelförmige Steinfiguren. Sie trugen spitze Mützen, und darunter konnte man, flach gemeißelt, Augen, Nase und Mund erkennen. In der Nähe stand ein einsames Haus, niedrig, geduckt, mit einem roten Walmdach. Und über den Zaun des Hauses hinweg beobachtete mich ein Junge, der eine nagelneue grüne Mütze trug. Er stieß zwischen den Zähnen einen gellenden Pfiff aus, der mir zu gelten schien.
    »He..?« machte ich.
    Da setzte er mit einer Hocke aus dem Stand über den Vorgartenzaun und kam langsam auf mich zu: »Bist du vielleicht der Neue, von dem der Reske erzählt hat?«
    »Der Reske... ist er versetzt worden?«
    »Mit Hängen und Würgen«, sagte er, »und wenn du den Reske kennst, dann bist du also der Neue. Ein Dünner, Blasser hat er gesagt, na, und direkt ausgefressen siehst du ja wirklich nicht aus.«
    »Kunststück«, sagte ich, »nach drei Tagen Kartoffelbrei. .. « Und erzählte ihm meine Leidensgeschichte. Er wollte sich halbtot lachen: »Ach du liebe Scheiße!« schrie er, »drei Tage nuscht als Kartoffelbrei? Da hast du ja allerhand nachzuholen. Wir haben vor Ostern ein Schwein geschlachtet. Wenn du Hunger hast, komm zu uns rein, die Wurschtsuppe steht immer auf dem Feuer...«
    Ich ließ mich nicht lange nötigen, aber zuerst wollte ich von ihm wissen, was das drüben für komische Steinfiguren waren.
    »Das kriegst du hier in der esten Stunde Heimatunterricht eingetrichtert. Um Bartenstein herum, das war doch früher, als hier noch die alten Pruzzen Kohl bauten, der Bartengau. Und die ollen Steinfiguren sollen zwei Götzenbilder sein, der Barto und seine Frau Guste Balde. Und vor den Götzen haben sie auf dem steinernen Tisch Gefangene als Opfer geschlachtet. Ob sie die hinterher gefressen haben, weiß ich nicht...«
    »Wurstsuppe ist mir lieber...«
    »Mir auch. Also komm schon.« Er hieß Alfred Klahr und ging mir durch eine breite Einfahrt auf einen großen Hofplatz voran, auf dem einige Schuppen und ein halbes Dutzend Kastenwagen und Handkarren standen.

»Habt ihr Landwirtschaft?« fragte ich. Die Frage lag nahe an dem geschlachteten Schwein. Aber sie betrieben keine Landwirtschaft. Der Vater hatte die Straßenmeisterei vom Landkreis unter sich, und die Wagen wären für das Streugut da. Aber es wäre früher einmal ein kleiner Bauernhof gewesen, bevor der Staat Haus und Anwesen für das Bauamt übernahm.
    »Du wirst es im Hause merken«, sagte er, »es stinkt noch immer ein bißchen nach Kuhstall...«
    Ich roch davon nichts. Was ich in die Nase bekam, war der dumpfe Geruch nach Kesselfleisch und Wurstsuppe, von der mir Alfreds Mutter einen randvoll geschöpften Teller vorsetzte. Sie war eine kleine, rundliche Frau, trug den braunen Zopf als Kränzchen um den Kopf und sprach in dem breiten Tonfall der Zintener Gegend, wo man ein kleines i vor die Vokale und Konsonanten setzt:

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