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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Hundedeckchen über den Schuhen trug und immer eine Spur zu elegant daherkam. Er galt als Lebemann, vielleicht, weil er sich oft ein Monokel ins linke Auge klemmte, dessen Pupille ein wenig zur Seite abirrte. Seine Frau, einen guten halben Kopf größer als er, war mit ihrem kupferroten Haar eine ausgesprochene Schönheit und der heimliche Schwarm aller jungen Männer, auch vieler Primaner. Jedenfalls paßte er nicht in das kleine Nest, und wahrscheinlich empfand er seinen Beruf und sein Studienratsgehalt als allzu eng und drückend. Und ihr - die der Fama nach aus einem erstklassigen Berliner Stall kam -muß Bartenstein schrecklich aufs Gemüt gegangen sein. Er verließ den Schuldienst bald, beide wandten Bartenstein den Rücken, und wenige Jahre später erlebte ich ihn im Hotel Monopol in Kranz mit einer roten Nelke im Knopfloch in einer äußerst heiteren Gesellschaft, deren Mittelpunkt er mit seiner schönen Frau war. Er entdeckte mich und kam mit einem: »Hallo, was machen Sie hier?« auf mich zu. Ich erlaubte mir, ihm die gleiche Frage zu stellen. Daß ich ihn dabei mit »Herr Studienrat< ansprach, schien ihm einen Schock zu versetzen.
    »Um Himmels willen!« zischte er mir ins Ohr, »lassen Sie keinen Menschen wissen, daß ich mal Steißtrommler war! Aber man würde es Ihnen sowieso nicht abnehmen.« Und dann erzählte er mir, daß er Generalvertreter einer großen und sehr renommierten Sektkellerei sei und damit für sich und seine Frau den Rahmen gefunden habe, in dem es sich leben lasse. Aber das ist sehr weit vorgegriffen. Vorläufig ließ Herr Westphal seinen hübschen Tenor, mit dem ich ihn in Kranz im Monopol seine kleine Gesellschaft mit dem Schlager der Saison »Was eine Frau im Frühling träumt« unterhalten hörte, noch für eine Weile bei Schulfeiern erklingen. Bei solchen Anlässen waren seine Paradestücke das seriöse »Herr, deine Güte reicht so weit« -und das weniger seriöse, bei Kommersen vorgetragene Lied »Wenn ich einmal der Herrgott wär«...
    Die Osterferien gingen bald zu Ende, und der Ernst des Lebens begann wieder einmal. Das Gymnasium hinter dem Kiesplatz mit den kahlen Kastanien hielt natürlich keinen Vergleich mit dem Riesenkomplex des Friedrichskollegs aus. Dort waren die Abortanlagen fast so groß wie hier der ganze Bau. Die Klassenzimmer wurden wahrhaftig noch durch mächtige Kachelöfen beheizt. Dieses mühselige Geschäft besorgte der Hausmeister Folgmann, dessen Säbelbeine darauf schließen ließen, daß er aktiv bei der Kavallerie gedient hatte. Er wohnte mit seiner Familie im Parterre der Schule, und sein Sohn, ein großer, kräftiger
    Junge mit einem kühnen Adlerprofil, saß in meiner Klasse. Sein Tag begann im Winter um vier Uhr morgens, und wenn wir aus den Federn krochen, dann hatte er bereits einige Zentner Torf und Briketts aus dem Keller zu den Öfen geschleppt. Zwei Brüder Brusdeilins, im Memelland zu Hause und glühende litauische Nationalisten, wohnten bei der Familie Folgmann in Pension. Der ältere, ein weizenblonder, ungeschlachter Bursche, saß drei Bänke hinter mir. Wenn er von Professor Krieger, dessen Sohn ebenfalls die Bänke der Untertertia drückte, zur Rezitation des >Tauchers< oder der >Glocke< aufgerufen wurde, bekamen wir jedesmal, da er mit der deutschen Sprache erhebliche Schwierigkeiten hatte, eine fast kabarettistische Vorstellung: »Hochch im Boggen spriezen Gwällen Wosserwoggen und als wohlte sie im Wächen mietzich furt derr Ärrde Wuucht...« - Der Professor Krieger machte dabei ein Gesicht, als quäle ihn ein Furunkel im Ohr, und murmelte: »Armer Schiller, armer, gemarterter Schiller... Nun, Brusdeilins, fürs brave Lernen muß ich dir wohl oder übel eine zwei geben...« - Der jüngere der Brüder Brusdeilins war klein, aber so breit wie hoch und wurde >Propeller< genannt; in der Fußballmannschaft von Barto-lonia spielte er als rechter Verteidiger, quirlig niedersäbelnd, was gegen das Tor anstürmte.
    Meinen Klassenkameraden Brusdeilins hatte ich fast fünfundzwanzig Jahre aus den Augen verloren, nicht aber aus dem Sinn, weil er immer bereit gewesen war, meine litauischen Sprachbrocken aufzubürsten, die mir unsere verflossene Anna beigebracht hatte. Wenn er litauisch sprechen durfte, leuchtete sein Gesicht auf, und es war nichts Tölpelhaftes an ihm.
    Im Frühsommer 1945 stand ich ihm vor dem Traunsteiner Rathaus, das die amerikanische Militärpolizei gleich nach dem Einzug der Amerikaner beschlagnahmt hatte, plötzlich

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