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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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sonderliche Anstrengung durch das enge Stiegenhaus in unsere neue Wohnung. Es war geschafft, und mit zwanzig Mark war Vater immer noch billig weggekommen. Und das hob seine Stimmung.
    In diesem Herbst wurde ich in die dritte Gymnasialklasse, nach Quarta versetzt. Vater war mit dem Zeugnis recht zufrieden, nur bei der Note für Rechnen, einer schwachen Drei, runzelte er unwillig die Brauen, und dazu sollte er in Zukunft noch oftmals Gelegenheit bekommen. Aber sonst brachte ich einen Haufen Einser heim, und das versöhnte ihn auch mit der Note für Aufmerksamkeit und der Bemerkung: »Der Schüler ist zumeist anderweitig beschäftigt.« - Vater schenkte mir zur Belohnung drei Mark, mit dem Geld rannte ich spornstreichs zum Spielwarengeschäft Weiß in der Junkerstraße und kaufte mir den ersten eschenen und von Hand gedrechselten Schlagballstock. Denn was heute Fußball ist, war damals das Schlagballspiel. Die Gymnasien trugen untereinander ehrgeizige Wettkämpfe aus, und wie in unseren Tagen auf amerikanischen Universitäten ein guter Leichtathlet oder Baseballspieler mancherlei Vergünstigungen erfährt, so hatte damals ein hervorragender Schlagballspieler das Einjährige oder sogar das Abitur so gut wie in der Tasche - vor allem in der neugegründeten und auf Prestige bedachten Hindenburg-Oberrealschule, der die Brüder >Wutti< und Walter Mäser zu Siegen und zu Ansehen verhalfen. Beide waren Modellathleten, denen Wettkämpfe und Training wenig Zeit für die Schulaufgaben ließen und die das Lehrerkollegium nur deshalb gelegentlich dazu zwang, eine Klasse zu wiederholen, um sie der stets siegreichen Schulmannschaft zu erhalten. Bei uns wurde auf sportliche Erfolge nicht so viel Wert gelegt. Im Gegenteil, als mich unser Dr. Wirth zum Vorturner ernannte, was meine Brust mächtig schwellen ließ, da zog unser Lateinprofessor Schöndörfer-Ottchen genannt-die Luft durch die Nase, als röche er ein übles Düftchen, und murmelte, daß ihm ein guter Lateiner allemal lieber sei als ein Zirkusakrobat. Bei Gott, der Mann tat gerade 30, als ob er von der doch in sein eigenes Fachgebiet schlagenden Weisheit des >Mens sana in corpore sano< noch nie etwas gehört hätte. Das konnte einen schon recht verdrießen.
    Ottchen Schöndörfer war zu jener Zeit bereits ein älterer Herr. Aber das Alter hatte sein Temperament nicht gemildert. Er trug vorzugweise blaue Anzüge und schwarze Schuhe. Erschien er einmal mit gelben Schuhen, dann war der Sturmball aufgezogen, und er ließ seine Tertianer und Sekundaner schikanöse Sätze ins Lateinische übersetzen: >Oh wie verdrießt mich das entartete Haselhuhn (bonasia silvestris degenerata), welches kein Bedenken trägt, sich zu bücken, um sich der gelben Kohlrübe (napobrassica), welche am Boden liegt, zu bemächtigen.< - Da war nun alles drin, was des Lateiners Herz entzückte. Die Herzen der Sekundaner entzückte diese wahrhaft sadistische Aufgabe weniger, aber Ottchen Schöndörfers Augen funkelten, und er verspritzte vor Wonne Speicheltröpfchen, wenn er sogar dem Primus der Klasse ein halbes Dutzend Fehler ankreiden konnte. Diejenigen, deren Übersetzung er wegen völliger Ignoranz rot durchstrichen hatte, sah er mit düster flammenden Blicken an. »Wenn die Zensuren im allgemeinen auch nur zwischen Eins und Fünf liegen, so sehe ich mich gezwungen, diese Schluderarbeiten mit einer Fünfzehn zu benoten - und daran werdet ihr ein Weilchen zu knacken haben!« Aber wenn er dann wieder in seine schwarzen Schuhe schlüpfte, war der Zorn verraucht, und er strich die Noten in seinem Notizbuch.

    Der Nachlaß meines Bruders Ernst bestand aus dem Frack, den er sich zum Referendarexamen hatte bauen lassen, aus zwei Straßenanzügen, einem halben Dutzend langer Tabakspfeifen, zwei Tablettenröhrchen, auf deren Etiketten ein gefesselter Storch zu sehen war und die Mutter rasch in ihrer Schürzentasche verschwinden ließ, als wir in Ernsts Turmzimmer stöberten, und aus einer Kiste voller zumeist dickleibiger juristischer Bücher. Sie wären ein Fraß der Würmer geworden, wenn ich die Wälzer nicht nach und nach im Raabeschen Antiquariat in der Französischen Straße verkauft oder gegen Bücher nach meinem Geschmack umgetauscht hätte. Natürlich rangierten die Bände von Karl May an erster Stelle, aber mit der gleichen Leidenschaft verschlang ich Gerstäcker, Jules Verne, die Schatzinsel, Robinson Crusoe, Onkel Toms Hütte, die um Lyck herum spielenden Kriegsromane von Richard Skowronnek und den

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