Abschied und Wiedersehen
Grafen von Monte Christo samt allen Fortsetzungen des jüngeren Dumas. Für einen guten Teil des Barerlöses aber erstand ich ganze Stapel von jenen Zehn-Pfennig-Serien, die damals im Schwang waren. Die Wildwest-Abenteuer von Old Wawerley, die Kriminalgeschichten um Nat Pinkerton, den König der Detektive, und vor allem jene Schmökerserie, deren Held der junge, immens reiche und elegante Sportsmann Lord Percy Stuart vom Excentric-Club war. Ja, derselbe Lord Percy Stuart, der in jüngster Vergangenheit im Fernsehen eine gänzlich unerwartete, aber fröhliche Auferstehung gefeiert hat. Da der Club, in den der junge Lord aufgenommen zu werden wünschte, nur zweiundfünfzig Mitglieder haben durfte und vollzählig war, sollte Lord Stuart dennoch unter der Bedingung im Club Aufnahme finden, wenn es ihm gelang, statt der üblichen drei Aufgaben volle zweiundfünfzig zu lösen, der Zahl der Clubmitglieder entsprechend. Da galt es, den Spanier Don Hernandez, den besten Florettkämpfer der Welt, zu besiegen, den Ärmelkanal erstmals zu durchschwimmen, den geraubten Krondiamanten des Maharadschas von Gwalior zu finden, Lady Milford aus dem Harem des Sultans von Makkala zu entführen oder im Ballonflug den Gordon-Bennet-Preis zu gewinnen. Wir fieberten jedem neuen Abenteuer entgegen, das der junge Lord zu bestehen hatte, bangten um den glücklichen Ausgang und haßten Mac Hollister, ein schurkisches Clubmitglied, glühend, der sich geschworen hatte, Percy Stuart am Gelingen seiner Aufgaben scheitern zu lassen. Zweiundfünfzig Aufgaben, das war bei wöchentlichem Erscheinen der Hefte ein volles Jahresprogramm. Was ahnten wir von der Tücke eines deutschen Verlegers, daß der junge Lord einundfünfzig Aufgaben glänzend löste und daß es dem Schurken Mac Hollister erst bei der zweiundfünfzigsten gelang, Percy Stuart scheitern zu lassen. Was nun: hatte der Unglückliche die ersehnte Aufnahme in den exklusiven Club endgültig verspielt? Oh nein! Großmütig, wie es englische Gentlemen nun einmal sind, gestattete man dem jungen Lord, es noch einmal mit zweiundfünfzig neuen Aufgaben zu versuchen. Wenn ich mich nicht irre, scheiterte Lord Percy Stuart fünfmal an der letzten Aufgabe, und die Serie lief Jahr um Jahr munter weiter und zog uns die Dittchen aus der Tasche.
Von den fünfzig Nonanern, die Herr Hoffmann fürs Gymnasium vorbereitet hatte, waren nur wenige hängengeblieben. Die kleine sechsköpfige Clique, der ich von Anfang an zugehörte, war noch vollzählig beieinander. Der schlitzäugige Japs Hilmar Neumann -, Kurt Gronwald, der mit zugewachsenen Augenlidern zur Welt gekommen war und dem die Hebamme die Lider nicht ganz glücklich und fachgerecht aufgeschnitten hatte, so daß er links aus einem riesigen und rechts aus einem schmalgeratenen Auge in die Welt blickte -, die Zwillinge Walter und Paul Wallowitz, Söhne eines Uhrmachers aus der Königstraße, einander verblüffend ähnlich, mit langen Blondschädeln, die eine tiefgefurchte Fontanelle in zwei deutlich voneinander abgesetzte Hälften teilte -, Hermann Fink, Sohn eines Gutsbesitzers, der sein Gut verkauft und ein Haus mit einem großen Obstgarten am Anfang der Tiergartenstraße erworben hatte und dort als Rentier lebte, was wir mit Verwunderung lasen, denn wie ein Ren-Tier sah der Vater Fink wirklich nicht aus. Und dann gehörte ich noch dazu, ein munterer Knabe und, wie im Zeugnis zu lesen stand, in der Schule zumeist anderweitig beschäftigt. Und das hing nun wiederum eng mit dem Excentric-Club und Lord Percy Stuart zusammen. Denn was lag näher, als eine Filiale dieses Clubs in Königsberg zu gründen. Der Initiator war Kurt Gronwald, fraglos der Exzentriker von uns sechsen. Sicherlich nicht zur Freude seines Vaters, der als Schuhmachermeister in der Königstraße ein großes und recht lukratives Schuhgeschäft besaß, den Titel kaiserlicher Hoflieferant führte und in seinen Werkstätten den >Königsstiefel< herstellte, mit dem er die Offiziere der berittenen Regimenter in der ganzen Provinz genauso belieferte wie den begüterten Adel. Kurt nämlich fühlte sich zum Künstler berufen. Schon als Quartaner schrieb er abenteuerliche Geschichten und ließ sich Visitenkarten drucken:
Kurt Gronwald - Schriftsteller. Später wandte er sich der Malerei zu. Zwar richtete ihm sein Vater in der Nähe des Tiergartens ein Schuhgeschäft ein, das ihn jedoch wenig zu interessieren schien. Tag für Tag stand er mit seinem wild wuchernden Lockenkopf vor der Ladentür
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