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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Schuldigkeit jedes deutschen Jungen, sich mit allen Kräften für Kaiser, Reich und Vaterland einzusetzen . Und wie wir uns einsetzten! Zum Teil auch wohl deshalb, weil nach den großen Anfangserfolgen die Siegesmeldungen und die damit verbundenen schulfreien Tage immer seltener wurden. Mit Berechtigungsausweisen ausgestattet, die der »Kriegsausschuß für Sammel- und Helferdienste« ausgab und die den Stempel der Schule trugen, zogen wir los und sammelten straßauf und straßab Lumpen und Altpapier, Kastanien und Eicheln, Altmetalle, Kupfer- und Zinngeschirr, Gold und Silber, und im edlen Wettstreit der Klassen untereinander zogen wir mit Listen von Haus zu Haus, in welche sich die Leute zur Kriegsanleihe eintragen durften. Von den vierzehn Milliarden, die gezeichnet wurden, brachten wir den stolzen Betrag von 78 000 Mark zusammen, eine Summe, die der Geheimrat mit jener Ergriffenheit vom Katheder der Aula herab verkündete, mit der er sonst versenkte Tonnagen und Zahlen von Kriegsgefangenen hinausposaunte. Wenn ich an die Kupfer- und Zinnsammlungen denke, dann spüre ich, wie mein Sammlerherz zu bluten beginnt. Was waren das für prachtvolle Kannen, Kessel, Tiegel und Mörser, die wir zur Schmelze brachten. In der Reihe der eigenen Vorfahren waren Männer mit dem merkwürdigen Namen Kastenbein, die als Kapitäne zur See fuhren und im Alter in den Häfen von Danzig, Pillau und Memel als Lotsen dienten. Von ihren Englandfahrten hatten sie wunderschönes Zinngeschirr, bauchige Teekannen mit schwarzen Ebenholzgriffen, wunderhübsche Becher, Deckelkrüge und Teller mitgebracht, die Mutter geerbt hatte. Ich habe ihr das ganze Zinn abgeschwatzt und zur Sammelstelle geschleppt, da man gerade Zinn angeblich zum Verzinnen der im Felde benötigten Konserven dringend brauchte.
    Unsere Sammelstelle lag in der Nähe der Fleischerei Molles in der Königstraße. Sie wurde von einem Sekundaner verwaltet, dessen Dienstraum wir immer mit einem gewissen Unbehagen betraten. Nicht weil er verkrüppelt war und an zwei Stöcken daherwatschelte, da seine kurzen Beine den gewaltigen, unappetitlich fetten Rumpf und Kopf kaum zu tragen vermochten, sondern weil er eine widerliche Art hatte, uns mit Schokolade zu füttern, uns Papyrossi anzubieten und zu süßen Likören einzuladen. Die vier Jungen, die ihm als Adjutanten zugeteilt waren, nannte er seine Lieblinge und erzählte uns mit weicher Schmeichelstimme, was für ein herrliches Leben wir täglich führen könnten, wenn wir uns dazu entschlössen, das Sammeln aufzugeben und bei ihm zu arbeiten, da er die Arbeit mit seinen Lieblingen nicht mehr bewältigen könne. Der Kerl war richtig zum Kotzen. Aber warum er zum Kotzen war, ahnten wir nur dunkel. Eines Tages stellte sich dann heraus, daß er unsere Listen gefälscht, einen großen Teil des Bruchgoldes und der Silbersachen, die wir bei ihm abgeliefert hatten, beiseite geschafft und mit den besten Stücken der Kupfersammlung und der Zinngeräte einen schwunghaften Handel betrieben hatte. Er flog mit Schimpf und Schande aus der Schule, es wurden sehr peinliche Untersuchungen angestellt, in deren Folge auch seine Lieblinge in der Versenkung verschwanden. Als ich diese aufregende Geschichte zu Hause erzählte und auf den ekelhaften Burschen mit seinen schweißigen Händen zu sprechen kam, bekam Vater einen roten Kopf, und Mutter kriegte Flecken ins Gesicht. Daß da jemand eventuell auch unser Zinn unterschlagen hatte, schien ihnen furchtbar an die Nerven zu gehen...
    Der Tod von Ernst vermochte Vaters Kriegsbegeisterung nur für kurze Zeit zu dämpfen. Er hatte sich eine große Europa-Karte angeschafft und im Wohnzimmer an die Wand geheftet, auf der er den Frontverlauf nach dem Studium der Frontnachrichten in der >Allgemeinen< mit bunten Fähnchen wie ein alter Generalstäbler absteckte. Daß es im Westen überhaupt nicht voranging und daß die Österreicher an der Karpatenfront und im Balkan eine Schlappe nach der anderen einsteckten, wurmte ihn maßlos. Mit den frischfröhlichen Renommiersprüchen, die zu Anfang des Krieges im Schwang waren, schien es vorbei zu sein. Auch aus den Kiosken verschwanden die bunt illustrierten Darstellungen, auf denen es richtig erhebend war, anzuschauen, wie unsere tapferen Feldgrauen ihre Gegner auf allen Fronten mit spielerischer Leichtigkeit zur Strecke brachten. Jeder Schuß - ein Ruß, jeder Stoß - ein Franzos, jeder Tritt - ein Brit, jeder Klaps - ein Japs...
    Um diese Zeit erregte eine Anzeige unsere

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