Abschied und Wiedersehen
hinter seiner Staffelei und malte mit kühnem Pinselschwung rote Kühe und blaue Pferde in bizarr aufgebauten Landschaften.
Wir sechs also machten unseren Excentric-Club auf, dessen strenge Statuten die endgültige Aufnahme aber von der Lösung einer verwegenen Aufgabe abhängig machten. Lieber Gott, was waren wir für Kindsköpfe! Vielleicht zogen wir in Betracht, von unseren Vätern den Hintern versohlt zu bekommen, daß wir aber dabei riskierten, in hohem Bogen aus der Schule gefeuert zu werden, kam uns auch nicht einen Augenblick lang in den Sinn. So erhielt Walter die Aufgabe, während einer montäglichen Morgenandacht in unserm Klassenzimmer die Hähne der Gasbeleuchtung anzudrehen, wobei wir natürlich hofften, daß der Unterricht ausfallen werde. Daß bei diesem Scherz ein Teil des Fridericianums hätte in die Luft fliegen können, daran dachten wir nicht. Jedenfalls gab es eine hochnotpeinliche Untersuchung der Geschichte, es wurden Trittspuren auf den Schulbänken gefunden, aber der Übeltäter blieb unentdeckt, und damit war Walter das erste ordentliche Mitglied unseres Excentric-Clubs. Kurt, für alles Künstlerische empfänglich und schon als Quartaner ständiger Besucher der Sonntags-Nachmittagsvorstellungen im Luisentheater, erhielt den Auftrag, eine Vorstellung zu sprengen; mit einer Handvoll Stinkbomben, die er auf die Bühne und ins Parkett warf, wurde es ein voller Erfolg, der sogar in die Zeitung kam. Unentdeckt blieb auch der Luntrus, der drei Feuermelder einschlug und die Feuerwehr in höchste Alarmbereitschaft versetzte, genauso unentdeckt wie jener Lorbaß, der auf dem Paradeplatz das Denkmal des größten Sohnes Königsbergs, Immanuel Kant, von oben bis unten mit Sirup beschmierte, so daß das Denkmal, da die ruchlose Tat gerade zur Lindenblüte begangen wurde, einen riesigen Klumpen von summenden Bienen bildete.
Allzu lange existierte der Excentric-Club nicht, denn selbst einem so phantasiebegabten Knaben wie Kurt Gronwald gingen die Ideen aus, und außerdem lockten uns neue, größere und dazu noch vaterländische Aufgaben, welche, was sie nicht nur ehrenvoll, sondern dazu noch süß machte, uns schulfreie Tage einbrachten. Denn trotz der Heldentaten unserer U-Boote, die die englische Blockade brachen und Gummi und Kupfer aus Amerika nach Deutschland brachten, wurden nicht nur die Lebensmittel, sondern auch die zur Weiterführung des Krieges benötigten Rohstoffe knapp. Wenn Vater ein vermögender Mann gewesen wäre, so hätte er sein Vermögen freudig als Kriegsanleihe gezeichnet. Leider besaß er keinen überflüssigen Pfennig, und so begnügten sich die Eltern damit, Vaters goldene Uhrkette und die breiten Eheringe - wie es die Altvorderen so beispielhaft anno 1813 zum Abschütteln des Franzosenjochs getan hatten - auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern. Sie bekamen dafür Ringe aus Kruppschem Nickelstahl mit der erhabenen Prägung >Vaterlandsdank I9I4< und eine Uhrkette aus schwarzem Eisen, auf deren ovalen Gliedern die ehernen Worte aus der ehernen Zeit der Befreiungskriege zu lesen waren: >Gold gab ich für Eisen«. Bei solcher Opferbereitschaft konnten der Sieg und das glorreiche Ende des Krieges nicht mehr fern sein. Davon war Vater jedenfalls fest überzeugt, und er verachtete Onkel Fritz, der auch nicht im Traum daran dachte, sich von seinem Gold und von seinem Geld zu trennen, aus tiefster Seele. Und so was war einmal Major...
Von Onkel Walter traf, weiß der Himmel über welche Umwege, eine Postkarte aus Ägypten ein. Er war, mit Lettow-Vorbeck und seinen Askaris in Deutsch-Ostafrika kämpfend, nach zwei ruhmvollen Kriegsjahren in englische Gefangenschaft geraten und in der Nähe von Kairo interniert worden. Auch Tante Miekchen und die Kinder hatten die Engländer in ein anglo-ägyptisches Camp gebracht. Er schrieb, daß es ihnen allen gut ginge und daß sie von den Engländern sehr anständig behandelt würden.
»Das schreibt dein Bruder auf einer offenen Postkarte, Lina!« sagte Vater und schnaubte höhnisch durch die Nase. »Von den Engländern anständig behandelt, von diesen perfiden Schweinen!«
»Vielleicht mußte er so schreiben«, meinte Mutter. »Nicht als deutscher Mann!« sagte Vater unerbittlich.
Für uns von der Sexta bis zur Prima begann die große Zeit der Sammlungen. Unser Klassenleiter Dr. Raabe, der in Frankreich die rechte Hand verloren hatte und sich mühsam umstellen mußte, Ohrfeigen mit der Linken auszuteilen, nannte es >die verdammte Pflicht und
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