Abschied und Wiedersehen
Handkarren aus Opas Geräteschuppen los, stellten den Wagen hinter einem Gebüsch in sicherer Entfernung ab und begannen, während Helmut auf den Alten aufpaßte und uns durch Pfiffe verständigte, wenn er nahte, mit der Blumenkohlernte. Es waren mehr als hundert üppige Köpfe, die wir aufluden. Tags zuvor hatte der Rudi mit der Witwe Baltruschat, die in der Beethovenstraße in einem Keller - genau wie die Donnerbuchs in der Ziegelstraße -einen Handel mit Obst, Gemüse und Flaschenbier betrieb, ein kurzes Gespräch geführt. Da es mangels Masse mit ihrem Betrieb steil bergab ging, erwartete sie uns bereits mit Ungeduld, spendierte jedem von uns eine Flasche Malzbier und entließ uns, nachdem wir den Blumenkohl in ihrem Keller verstaut hatten, mit dem Versprechen, sie auch künftig zu beliefern. Zwei Blumenkohlköpfe nahm ich Mutter mit, die über die unerwartete Gabe hoch erfreut war. Auf die Frage, wie ich zu dem Blumenkohl gekommen sei, antwortete ich fast wahrheitsgetreu, daß ich ein bißchen bei Gärtner Adler auf dem Feld gearbeitet und den Arbeitslohn in Naturalien bekommen hätte. Mutter war richtig gerührt und schenkte mir für meinen Fleiß eine Mark. Frau Baltruschat aber wurde die ganze Ladung gleich am nächsten Vormittag im Handumdrehen los, erzielte pro Kopf einsfünfzig, steckte vom Erlös ein Drittel wie verabredet ein und händigte uns, ehrlich wie sie war, die ungeheure Summe von einhundertundvier Mark aus, die wir wiederum redlich teilten.
Die Berliner Renommier- oder Prahluhr war uns also sicher. Ich füllte die Postanweisung nach Berlin noch am gleichen Tage aus, und Rudi und Helmut hatten es genauso eilig, ihre Anweisungen auszufüllen und abzuschicken. Vierzehn Tage vergingen in fieberhafter Spannung. Und dann war das ersehnte Päckchen endlich da. »Von Uhren-Kloos«, sagte Mutter, als sie es mir mittags in die Hand drückte, »ich wußte gar nicht, daß du alle Karten verkaufen konntest...« Ich gab zu, daß das auch nicht ganz einfach gewesen sei, aber daß ich es zum Schluß dann doch geschafft hätte. Und es war wirklich ein Prachtstück, das ich aus der Verpackung schälte. Eine echte Renommier-Uhr! Die mächtige Zwiebel glänzte wie pures Gold und hatte fast das Format von Vaters glücklich zu Bruch gegangenem Passometer. Das Aufregendste aber war fraglos das Zifferblatt. Denn darauf stand ein Feldgrauer in voller Kriegsmontur, links neben ihm ein fliehender Russe, und das Erhebende daran - was das Herz jedes Patrioten höher schlagen ließ - war, daß der Sekundenzeiger in der Form eines bestiefelten Unterschenkels um das Kniegelenk des feldgrauen deutschen Helden kreiste und den Russen in jeder Minute einmal so kräftig in den Hintern trat, daß der ganze Kerl vornüber kippte. Merkwürdig, daß weder Vater noch Mutter dieses sich minütlich wiederholende Schauspiel so umwerfend witzig und patriotisch fanden, wie es der Konstrukteur beabsichtigt hatte. Vater brummte sogar, man müßte den Kerl an die Front schicken, damit er am eigenen Leibe erfahre, daß es dort gar nicht so lustig zugehe. Und ich mußte nach einiger Zeit selber zugeben, daß das Schauspiel eines Arschtritts pro Minute ermüdend wirkte. Ich hatte allerdings auch nur drei Tage Zeit, den kreisenden Stiefel zu bewundern, denn dann gab es im Inneren der Renommieruhr einen Knacks - und sie stand still. Der Vater der Zwillinge Wallowitz, dem ich sie am nächsten Tag zur Reparatur brachte, sagte, solch einen Schund hätte er seiner Lebtag nicht gesehen und ich solle das Ding so schnell wie möglich auf den Misthaufen werfen, wo es schon hingehört hätte, als es noch funktionierte. Ich gewann dabei den Eindruck, daß es mit seiner Vaterlandsliebe nicht zum besten bestellt war...
Wir wohnten noch gar nicht lange in der neuen Wohnung bei der Witwe Kallweit, als es eines Nachmittags - ich machte gerade Schularbeiten und übte nach der Methode, die uns Herr Dr. Buttersack empfohlen hatte, mit zugehaltenen Nasenlöchern französische Nasallaute - als es einen fürchterlichen Schlag tat, dem ein lang anhaltendes Donnergrollen folgte. Im Wohnzimmer, in dem ich saß, flogen die Fensterscheiben heraus, und in der Küche, in der Mutter gerade das Mittagsgeschirr spülte, neigte sich der Aufsatz vom Küchenschrank bedrohlich vornüber, entleerte auf den Fußboden, was an Tellern und Tassen darin aufgestapelt stand, und schwankte dann wieder in seine alte Lage zurück. Zum Glück, denn die Küche war schmal, und Mutter vor Schreck
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