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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Manchmal dachte Arlene, dass Emily ihr nicht zuhörte und ihre Gespräche Monologe waren, doch hier war der Gegenbeweis. Auch wenn die Kinder es nie erfahren würden, sie hatte sie erfolgreich verteidigt, und die Hitze des Alkohols belebte sie genauso wie das Bestellen des Nachtischs - ein Boston Cooler, das Lieblingsdessert ihrer Mutter, das noch immer am Ende der Speisekarte stand: eine Honigmelonenscheibe mit einer Kugel Vanilleeis. Emily nahm den Apfelkuchen, gekrönt von einem Stück geschmolzenem scharfem Cheddar.
      «Lappi», rief ihr Arlene ins Gedächtnis.
      «Das Meerrettichzeug», sagte Emily. «Hast du Mrs. Klinginsmith schon angerufen ? »
      «Noch nicht. Warum?» Arlene bemühte sich, ihre Überraschung zu verbergen. Sie hatte Mrs. Klinginsmith nicht angerufen, weil sie dachte, Emily sei nicht daran interessiert.
      «Ich hab gedacht, wenn das Institut ausgebucht ist, könnten wir es hier probieren. Hängt vom Preis ab. Wahrscheinlich ist es nicht so teuer. Das Hotel ist nicht gerade überlaufen.»
      «Nein.» Dann würden sie nächsten Sommer also herkommen. Trotz ihrer Erleichterung fragte sich Arlene - wie sie es schon seit Februar tat -, warum Emily das Sommerhaus verkaufte. Sie verstand es nicht.
      «Es ist zwar nicht das Hilton», sagte Emily, «aber es ist besser als das We Wan Chu.»
      Arlene löffelte ein Stück von ihrem Cooler, und das Eis schmerzte an ihren Backenzähnen. «Ich rufe an, wenn wir zurück sind.»
      Sie hatte das bekommen, was sie haben wollte, und doch war sie immer noch unzufrieden. So sehr ihr das Lenhart auch gefiel, hier wohnen wollte sie nicht. Auch das Institut war nur zweite Wahl, ein Kompromiss. Sie wollte ins Sommerhaus, und jetzt sagte ihr Emily unmissverständlich, dass es dazu nicht kommen würde. Arlene konnte sich nicht damit abfinden, das Haus und Henry im selben Jahr zu verlieren, als würde man ihr den einzigen Trost nehmen.
      Der Kellner kam, um abzuräumen. Arlene wollte noch eine Tasse Kaffee haben, doch Emily war fertig. Emily errechnete das Trinkgeld, und sie teilten sich die Rechnung, ihre zerknitterten Ein-Dollar-Scheine auf dem Plastiktablett aufgetürmt. Sie warfen einen letzten Blick auf den See - auf die Brücke - und kramten nach ihren Garderobenscheinen. Auf dem Weg nach draußen bedankten sich alle für ihr Kommen, der Oberkellner machte eine steife Verbeugung, die er sich bestimmt im Kino abgeschaut hatte.
      «Wir sollten uns am Empfang nach den Zimmerpreisen erkundigen», sagte Emily. Obwohl Arlene darauf keine Lust mehr hatte, wusste sie, dass Emily glaubte, sie mache ein Zugeständnis, und es wäre unhöflich, nein zu sagen.
      «Ein Doppelzimmer?», fragte ein Hotelangestellter mit Koteletten. Nach einer kurzen Beratung einigten sie sich - nur um eine Preisvorstellung zu haben -, den Gedanken, sich ein Zimmer zu teilen, in Erwägung zu ziehen. Die Zahl, die ihnen der Hotelangestellte nannte, holte sie unangenehm auf den Boden der Tatsachen zurück.
      «Tja», sagte Emily auf der Veranda, «das We Wan Chu hört sich immer besser an.»
      «Ich war auch überrascht.»
      «Ich will mir gar nicht vorstellen, was sie im Institut verlangen - falls wir überhaupt reinkommen. Das Mittagessen war trotzdem schön.»
      «Stimmt», sagte Arlene. Und insgesamt stimmte es auch. Vielleicht lag es an den Rob Roys, aber sie war durcheinander, hatte das Gefühl, haltlos durch den grauen Nachmittag zu treiben, während der Regen von den Bäumen tropfte. Die Vorstellung, dass sie das Lenhart gerade zum letzten Mal gesehen haben könnte, versetzte sie kurz in Panik.
      «Kannst du noch fahren?», fragte Emily, als hätte sie es gespürt.
      «Mir geht's gut», beteuerte Arlene.
      Auf der Treppe waren sie vorsichtig und hielten sich am kalten Geländer fest. Die Fähre kam, der Dieselmotor hinterließ eine schäumende Welle. Genau wie das Lenhart existierte die Fähre schon seit hundert Jahren. Vorher hatte ein einfallsreicher Holländer eine von Ochsen gezogene Fähre unterhalten, und davor hatten die Seneca Kanus benutzt, wobei sie sich natürlich die leichteste Stelle zum Überqueren des Sees ausgesucht hatten.
      Es war bemerkenswert, wie weit ihre eigene Geschichte an diesem Ort zurückreichte. Ihre Urgroßmutter hatte im Lenhart übernachtet, ihre Großmutter McElheny und ihre Großtante Martha, ihre Eltern und dann Henry und sie mit ihnen zusammen. Es erschien ihr nicht falsch, dass das Hotel sie alle

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