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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Kinsey Meg aufs Haar glich - knallhart und hübsch, im Innern irgendwie wirr, ungreifbar. Selbstbewusst, mit all ihren Fehlern. Es musste einsam sein, nur sie und die Kinder. Wenn Ken für Merck unterwegs gewesen war, auf Messen oder zum Fotografieren in Baltimore, hatte sie nie schlafen können, das Bett plötzlich zu groß, das Haus zu still. Am Flughafen hatte sie ihn mit Küssen bedeckt, als wäre er aus dem Krieg heimgekehrt, und wenn sie in der ersten Nacht miteinander geschlafen hatten, war es jedes Mal unglaublich gewesen. Vielleicht brauchten sie genau das: dass er wegging. Aber Jeff kam nicht zurück.
      Auf dem Weg zur Kasse dachte Lise an ihr Gespräch im Red Lobster - Megs Geldsorgen, Sarahs und Ellas Wechsel auf die High School. Von ihren Freundinnen war ihr nur Carmela so vertraut, und auch wenn sie seit acht Jahren Nachbarinnen waren, würde sie Ken nie so kennen, wie Meg ihn kannte. Sie wünschte, sie wären nicht solche Rivalinnen, wünschte, dass sie Meg mehr vertraute, dass sie sich nicht über Megs Probleme und die darin angelegten Katastrophen freute.
      Die Schlange war kurz, aber der Inhaber war langsam, schrieb jeden Kassenzettel mit der Hand und drückte fest auf das Kohlepapier. Er notierte jeden Buchtitel, als hätte er vor, seinen Bestand wieder aufzufüllen. Mit seiner Strickjacke, seiner Nickelbrille und seinem riesigen Schreibtisch soll er gemütlich und freundlich wirken, dachte Lise, doch er und seine Frau betrogen die Touristen schon seit Jahren, erhöhten im Sommer die Preise, kauften dann alles zum halben Preis zurück und verkauften den abgenutzten Bestand jedes Mal wieder mit hundert Prozent Gewinn. Ella hatte er mal angebrüllt, weil sie in einem Kunstband geblättert und er Angst bekommen hatte, sie könnte seine Kapitalanlage ruinieren.
      Lise untersuchte das Oprah-Buch, in der Hoffnung, irgendwelche Mängel zu entdecken - Eselsohren, unterstrichene Sätze, irgendeinen Vorwand, um es wieder loswerden zu können. Da war nichts, selbst der Rücken war makellos, als wäre es noch nie gelesen worden. Sie konnte es sich von Carmela leihen oder in der Bücherei besorgen. Wegen Harry würde sie hier sowieso nicht dazu kommen.
      «Der braucht ja ewig», sagte sie, als wäre das ein hinreichender Grund, und ging zur Belletristikabteilung, suchte die Lücke, die sie geschaffen hatte und ließ das Buch wieder an seinen Platz gleiten.
     
     
* 16
     
    Der Regen hatte alle nach Lakewood getrieben, zu der schäbigen Ladenzeile am Wal-Mart, den Ersatzteilläden, dem Rite Aid und Johnny's Texas Hots. Meg sah, dass die Straße nach Jamestown verbreitert worden war, um dem Aufschwung Platz zu bieten; der Verkehr schob sich langsam von einer neuen Ampel zur nächsten. Die Scheibenwischer und das Radio zerrten an ihren Nerven. Geduld, Geduld. Eins zwei drei vier fünf sechs sieben ... Sie wünschte, sie wäre allein, um sich bekiffen zu können.
      Es war nicht so, dass sie Lise nicht traute. Sie war sich bloß nicht sicher. Lise beurteilte sie, das wusste sie, aber Lise beurteilte jeden. Sie war wie ihre Mutter, hatte teilweise Angst vor Meg. Die Vorstellung, ein gefährlicher Mensch zu sein, war witzig, und Meg nutzte das aus, so oft sie konnte, aber sich jetzt, während sie zwischen den Discount-Weihnachtsläden und Fliesenmärkten herumgondelten, einen Joint anzuzünden, wäre zu viel.
      Wenigstens hatte sie ihnen nicht erzählt, wie sie in der Reha gelandet war. Sonst würde Lise nämlich nicht mit ihr fahren.
      Das Ganze ist gut ausgegangen, dachte sie, kein bleibender Schaden. Sie musste das Bild von dem Unfall abwehren, es mit einem Kopfschütteln verscheuchen. An manchen Tagen wollte sie überhaupt nicht denken, sondern bloß existieren.
      «Rote Ampel», warnte Lise.
      «Tut mir Leid», sagte Meg und hielt ein ganzes Stück hinter der weißen Linie. «Ich hab nachgedacht.»
      Lise fragte nicht, worüber, sondern sagte, die Ampel sei neu, eine vorgefertigte Ausrede. Anscheinend wurde Meg von allen außer Jeff bedauert. Meg wünschte, sie würden es sein lassen. Ihre Anwältin hatte Recht - sie musste dagegen ankämpfen, dass sie es sich im weichen Bett des Selbstmitleids gemütlich machte, als wäre sie die ganze Zeit das Opfer gewesen.
      Die Ampel sprang um, und Meg geleitete die Schlange hinter ihr über die Kreuzung, bremste und bog auf den belebten Parkplatz des Blockbuster, dessen Zufahrt über den Gehsteig führte. Neben ihr warf Lise einen kurzen

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