Abschied von Chautauqua
letzten Jahr kannte, als hätten sie auf sie gewartet. Sie ließ den Raum mit der Bezeichnung Alte Lieblingsbücher aus - gedrungene moosgrüne Hardcover aus den zwanziger Jahren von Autoren wie Gene Stratton-Porter oder Grace Livingstone Hill, geschätzt von frischen Hausbesitzern, die ihren Kaminsims dekorieren wollen. Literatur, Selbsthilfe, Liebesromane, sortiert nach Verlagen. Biographien und Reise fand sie interessant. Unter Belletristik fand sie einen von Oprah vorgestellten Roman, den sie noch nicht gelesen hatte, für zehn Dollar, doch im Sommerhaus wartete noch Harry Potter auf sie.
Sie konnte die Ausgabe nicht rechtfertigen. Ken würde merken, dass sie etwas Überflüssiges gekauft hatte, und würde es ihr vorhalten wie einen mutwilligen Fehler. Er würde sagen, sie könne es sich in der Bücherei besorgen.
Er war so geizig, dass er quietschte. Das war ein Witz zwischen ihnen, den er mühelos schulterte, denn er war stolz darauf, vernünftig mit Geld umzugehen, genau wie seine Mutter, doch Lise hatte es satt, ein schlechtes Gewissen zu haben, weil sie nicht jeden Penny dreimal umdrehte. Wenn er so kühl über ihr Geld sprach, fühlte sie sich persönlich angegriffen. Sie arbeitete jetzt und konnte mit ihrem Geld tun, was sie wollte. Sie hatte ihm nie das Geld missgönnt, das er für seine Dunkelkammer ausgab, nur die Zeit, die er ihnen entzog.
Und wieder wurde ihr bewusst, dass sie mit ihm stritt, obwohl er gar nicht da war. So war es das ganze Jahr lang gelaufen, sie hatten im Stillen ihre Argumente geschärft, sodass ihre Stiche beim nächsten Streit äußerst präzise trafen und beide noch verletzt waren, wenn sie sich längst ausgesöhnt hatten. Sie kannten einander zu gut und benutzten diese Vertrautheit als Waffe, deckten die Fehler und wunden Punkte auf und griffen dort an, während sie sich gegenseitig darauf verließen, dass die Gründe hinter den größeren Meinungsverschiedenheiten unerforscht blieben. Sex, Geld, die Kinder, ihre Familien. All das war kein Geheimnis, und doch schreckte sie auch jetzt vor dem Gedanken zurück. Entweder warteten die schlimmsten Auseinandersetzungen noch auf sie, oder es würde nie dazu kommen, alles oder nichts.
Sie holte den Oprah-Roman aus dem Regal, las den Klappentext und merkte, dass die anderen Kunden ringsum schmökerten. Einen Augenblick las sie unkonzentriert, ohne etwas zu verstehen, ihr entzog sich der Sinn der Worte. Eine junge Mutter, die mit dem Tod eines Kindes fertig zu werden versucht, und wie sie in einer schweren Zeit Kraft findet. Die Macht der Liebe und des Glaubens, die Ausdauer des menschlichen Geistes. Es war eins dieser Bücher, die Ken als unaufrichtig und kitschig verspotten würde, als wäre es allgemein bekannt, dass die Welt so nicht läuft. Sie dachte daran, dass sie Ella oder Sam verlieren könnte. Allein daran zu denken brachte Unglück, aber durch das Buch machte sie sich Gedanken über ein glaubwürdiges Szenario - ein Autounfall, Tod durch Ertrinken - und über die Auswirkungen. Keine Mutter brächte es fertig weiterzumachen, und doch musste man es tun. Wenn es ihr einziges Kind wäre, dann wäre der Schmerz grenzenlos, ansonsten würde es immer noch die Arbeit geben, Wäsche, die gewaschen, Essen, das zubereitet werden musste. Sie drehte das Buch um und betrachtete den Einband, ein Bild von einem schlichten Bungalow mit Bäumen davor, eine gefaltete Zeitung auf der Veranda, als könnte das jedem passieren.
Sie behielt das Buch in der Hand und suchte Meg, zwängte sich durch die Schlange vor der Kasse, übersah die Stufe zur Geschichtsabteilung und wäre fast gestürzt. Hinter Musik und Kunst gab es eine Wand mit Fantasy-Taschenbüchern, und Lise wünschte, sie hätte Ella mitgebracht. Lise wusste nicht, was Ella schon hatte und was nicht, deshalb hatte es keinen Zweck zu stöbern. Sie sah vor sich, wie sie mit einem Buch zurückkehrte, das Ella schon hatte, sah Kens Reaktion - und die von Emily, wieder einmal in ihrer Meinung von Lise bestätigt.
Meg kniete auf einem Bein, über die unterste Reihe gebeugt, neben sich einen kleinen Stapel Taschenbücher. «Bist du fertig?»
«Ich glaub schon», sagte Lise.
«Was hast du gefunden?»
Sie zeigte ihr den Oprah-Roman.
«Der soll gut sein.» Meg stand auf und schwenkte ihre Ausbeute, eine Handvoll Sue Graftons. «Ich hab bei H angefangen und arbeite mich jetzt zum Anfang zurück.»
Lise hatte die Bücher gelesen und fand, dass
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