Abschied von Chautauqua
Scheidung.»
«Du sagst das, als wäre es etwas Gutes.»
«Ist es in diesem Fall vielleicht auch. Ich meine, wie lange sind sie denn schon getrennt?»
«Gut», sagte Emily, «aber wovon soll sie jetzt leben? Wer soll Sarahs Ausbildung bezahlen ? »
«Jeff tut bestimmt das Richtige.»
«Margaret zufolge nicht. Ihr zufolge hat er eine scharfe kleine Freundin, mit der er sich herumtreibt.»
Diese Neuigkeit ließ Arlene verstummen. Sie konnte alles nur zu gut vor sich sehen, Jeff mit seinen protzigen Autos und schmutzigen Witzen, wie er alle zum Lachen bringen konnte, sogar Emily. Er kam Arlene vor wie jemand, der nicht erwachsen werden wollte, genauso - dachte sie - wie es Emily mit Margaret gehen musste.
«Es ist nicht bloß die Scheidung», sagte Emily, «es ist einfach alles. Es ist zu viel auf einmal. Sie muss ihre Katastrophen besser verteilen .»
Arlene hatte Emily schon öfter grausame Dinge sagen hören, aber das übertraf alles. Sie sah sie verständnislos an und wartete auf eine Erklärung, eine Entschuldigung.
«Was denn?», fragte Emily. «Schließlich muss ich danach die Scherben aufräumen - mal wieder. So war es schon immer - nichts hat sich geändert. Iss.» Sie deutete mit ihrer Gabel auf den Teller und gab Arlene mit einem Nicken zu verstehen, dass es gut schmeckte. «Ich kann das sagen, denn ich bin diejenige, die vor Sorge um sie Magengeschwüre bekommen hat. Ich bin stets aufgeblieben, wenn sie um vier Uhr nachts nach Hause kam. Henry hat mich für verrückt erklärt, und wahrscheinlich hatte er Recht, aber so bin ich nun mal. Ich mache mir noch auf dem Totenbett Sorgen um sie. Um beide. Kenneth ist auch nicht besser. Keiner von beiden kann mit Geld umgehen, und ich weiß, das ist unsere Schuld.» Sie seufzte, als hätte sie es satt, darüber zu reden, hielt kurz mit Messer und Gabel inne und ließ es sich dann wieder schmecken.
Der unausgesprochene Gedanke dahinter, dachte Arlene, war, dass sie nicht begreifen könne, was Emily wegen der beiden durchgemacht habe. Es hatte mal eine Zeit gegeben, als so einer Litanei der Satz folgte: «Das wirst du schon sehen, wenn du selbst Kinder hast», aber das war längst vorbei, obwohl Arlene diese Worte noch immer ergänzte und das Gefühl hatte, dass sie damit als ein Mensch ohne Tiefgründigkeit oder Verantwortungsgefühl abgetan worden war. Wenn ihr etwas vorzuwerfen war, dann dass sie nach zu festen Regeln gelebt hatte, zu viel gegeben und zu wenig dafür verlangt hatte. Ihre Schüler hatten ihr genügt, und die Schule, die jeden Morgen auf sie wartete, die hellen Flure durchgewischt, die Tafeln bereit für die nächste Stunde. Erst als sie in Ruhestand gegangen war, hatte sie sich schwach und ungeliebt gefühlt.
«Du kannst von Glück sagen, dass du sie hast», entgegnete sie.
Sie hatte Emily überrascht, denn Emily musste sich die Lippe mit der Serviette abtupfen, streckte dann die Hand über den Tisch und legte sie auf Arlenes Arm, als wollte sie sich bedanken.
«Ich weiß», sagte sie. «Ich weiß. Seit Henrys Tod sorgt niemand dafür, dass ich auf dem Boden bleibe. Sobald ich über Margarets Probleme oder über Kenneth nachdenke, kriege ich Zustände.»
«Die beiden sind stärker, als du denkst», sagte Arlene.
«Ich wünschte, du hättest Recht.»
«Sie haben's doch bis jetzt auch geschafft, oder?»
Der Kellner erschien, um zu fragen, ob alles in Ordnung sei. Alles war bestens.
«Wahrscheinlich will ich bloß, dass sie glücklich sind», sagte Emily. «Und sie machen nicht den Eindruck, als wären sie besonders glücklich.»
«Da bleibt dir wohl nur die Hoffnung, dass es bloß vorübergehend ist.» Sobald Arlene die Worte ausgesprochen hatte, merkte sie, dass sie auch auf sie selbst - und auf Emily - zutrafen.
«Das befürchte ich auch», pflichtete ihr Emily bei.
«Alles verändert sich.» Arlene deutete auf die hohe weiße Decke mit ihren phantasievollen, golden gestrichenen Stuckverzierungen. «Weißt du noch, wie das Hotel nach dem Krieg aussah? Sie wollten es abreißen. Und jetzt ist es eine Sehenswürdigkeit.»
«Ich verstehe.»
Wenn Arlene etwas getrunken hatte, vertrat sie - Gott sei Dank - einen festeren Standpunkt. Emily gab zu, dass Margaret noch jung war und gut aussah und dass Sarah und Justin anscheinend eine starke Bindung hatten. Ja, Kenneth tat sein Bestes, und Ella war bei weitem das intelligenteste der vier Kinder.
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