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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Fußboden, Sam sah Justin dabei zu, wie er mit seinem Game Boy spielte. Sie war sich sicher, dass er sie bemerkt hatte. Er sah sie absichtlich nicht an, damit sie sich schuldig fühlte, weil er sein Spiel nicht benutzen durfte. Sie unterdrückte das Verlangen, ihm die Zunge rauszustrecken. Wie oft hatte Lise sich anhören müssen, wie Emily über sie herzog, weil sie ihm einen Game Boy gekauft hatte, und dann noch der ständige Ärger.
      Der Wein und der Umstand, dass Rufus allein in der Küche war, erhoben sie über jegliche Kleinlichkeit. Er lag neben dem leeren Wassernapf, seine Augen vom Schlaf blutunterlaufen.
      «Hey, Roof», sagte sie. «Bisschen trocken hier, was, mein Alter?»
      Zuerst kümmerte sie sich um ihn, und der Strahl aus dem Wasserhahn rauschte in seinen Napf und bespritzte ihre Hand. «Da», sagte sie und hockte sich hin, um den Napf in die Ecke zu stellen. Rufus schaute sie dankbar an, beugte sich dann darüber - seine Hundemarke schlug klirrend gegen den Rand.
      Arlenes vertrocknete Limone lag in einer Saftpfütze auf dem Hackbrett. Lise goss sich noch einen Sauvignon blanc ein, trank einen großen Schluck und betrachtete durchs Fenster ihre Autos, die unter der Kastanie geparkt waren. Heute Abend Steak. Ken muss die Kohlen anzünden, dachte sie. Dann hatten sie später genug Zeit, sich einen Film anzusehen. Hier hatte sie die Angewohnheit, ständig auf die Uhr zu schauen, als könnte sie das erlösen. Statt zu hoffen, dass die Zeit schneller verstrich, erschien es ihr besser, langsamer zu machen und die übrige Welt an sich vorbeifliegen zu lassen.
      Während sie am Spülbecken stand und noch ein bisschen Zeit schindete, fühlte sie sich wie eine Verdächtige, fremd und von den anderen getrennt. Als sie zum ersten Mal hergekommen war, in ihrem Junior Year auf dem College, war sie noch schüchtern gewesen und hatte nicht gewusst, worüber sie mit ihnen reden sollte. Sie hatte hauptsächlich versucht, sich zu verstecken oder mit Ken allein zu sein. Zwanzig Jahre später hatte sich daran nichts geändert. Wie Harry Potter bei den Dursleys war sie noch immer ein Gast, ein Besucher.
      Der Gedanke war nicht neu, doch nach dem Wein dachte sie ernsthaft über dessen Auswirkungen nach, und der berauschende Blick auf den See erstarrte für sie zu einem Dia, zum verregneten Urlaub von jemand anderem, die schwarzen Stege ins Wasser gereckt. Der Anblick faszinierte sie, hielt sie gefangen, eine bedeutungsschwere Lähmung, als wäre sie kurz davor, eine große Entdeckung nicht nur über ihr Leben, sondern über die wahre Natur der Dinge zu machen - wie sie in all das hineingehörte, wie jemand in eine Welt gehörte, die ihm fremd vorkam. Die Farben drückten eine Stimmung aus, das Unwetter verdüsterte alles. Die Elemente verschwammen, wurden unscharf, und doch wandte sie sich nicht ab, sondern blieb mit dem Bild und seinem Versprechen verbunden. Sie wurde sich der flüssigen Oberfläche ihrer Augen bewusst, des Pochens ihres Herzens und jetzt veränderte sich ihr Blick - wie bei einem Teleskop das um ein paar Grad gekippt wird - er verkürzte sich und fiel auf das von Spinnweben überzogene Fliegenfenster, auf die weiße Fensterbank, wo der Staub die Wellen und Strudel der Maserung unter der Farbe zum Vorschein brachte, Astknoten, die wie Inseln aussahen, wie die Linien einer topographischen Karte. Dieses Bild übte einen Augenblick dieselbe Anziehungskraft aus, hatte dieselbe geheimnisvolle Bedeutung, dann verschwand der Zauber oder was immer es war, und sie stand da, mit dem Weinglas in der Hand ans Spülbecken gelehnt, Arlenes Limone vertrocknet und verschrumpelt auf dem Hackbrett, die Geheimnisse der Welt Lise wieder verschlossen, völlig unzugänglich. Es war nichts gewesen, ein flüchtiger Rausch nach einem Schluck Wein, der auf angenehme Weise eine Reihe unbeschäftigter Gehirnzellen zerstört hatte, und doch war es ein Verlust zu spüren, wie er langsam nachließ.
      Rufus schlabberte durstig an seinem Napf.
      «Okay», sagte Lise, «das reicht», und er hörte auf und zog sich steifbeinig aus der Ecke zurück. Er stellte sich mitten in die Küche und sah sie erwartungsvoll an. «Du bist bestimmt hungrig, was?»
      Sie rief nach Sam.
      «Ja?», rief er aus dem Nebenzimmer.
      «Komm und füttere den Hund.» Sie wartete, gab ihm Zeit. «Sofort.»
      Er sagte nichts, sondern schlich um die Ecke und an ihr vorbei, darauf konzentriert, seine Aufgabe zu erfüllen, damit er

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