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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Bausteine und eine nackte Barbie mit Bändern im Haar. Da waren Tinkertoy-Stäbe und ihre brötchen-förmigen Verbindungsstücke, grüne Windmühlenflügel und ein Satz Dame-Steine aus Plastik, von denen die roten fast alle fehlten.
      «Weißt du noch, was wir damit immer gemacht haben?», fragte Sarah und drückte sich einen der Dame-Steine an die Wange, sodass der erhöhte Rand auf ihrer Haut einen kreisförmigen Abdruck hinterließ.
      «Ja!», sagte Ella und verpasste sich ein identisches Tattoo.
      Auf dem Boden des Kartons lagen Milchmurmeln aus einem Halmaspiel, vereinzelte Legosteine und ein paar Minibillardkugeln von einem Tisch, an den sie sich kaum noch erinnern konnte. Sie hatten die Queues als Schwerter benutzt, und irgendwer hatte Ärger gekriegt. «Den Tisch haben sie bestimmt weggeworfen.»
      «Ich hab das nie gern gespielt», sagte Sarah. «Es hat überhaupt keinen Spaß gemacht.»
      «Im Gegensatz zu Mensch-ärgere-dich-nicht!»
      «Daran kann ich mich noch erinnern.»
      «Das steht unten», sagte Ella, «direkt hinterm Fernseher.»
      Sie waren sich einig, dass sie es am Abend unbedingt spielen mussten.
      «Und hatten wir nicht auch ein Feuerwehrauto?», fragte Sarah. «Ein weißes, mit Drehleiter?»
      «Kann sein. Das weiß ich nicht mehr.»
      «Wenn ich nur meine Taschenuhr finden könnte», sagte Sarah, und Ella schwor sich, dass sie sie entdecken würde.
      Es waren keine Plastikbuchstaben mehr da. Bestimmt hatte sie jemand weggeworfen. Das fanden sie beide traurig und meinten, sie hätten sie aufbewahren sollen. Sarah konnte sich noch erinnern, wie sie damit ihren Namen auf den Kühlschrank geschrieben hatte. Das S war rot gewesen. Auch das wollte Ella finden, um s ihr zurückzugeben und sie glücklich zu machen. Sie stopften alles in den Karton und klappten ihn zu, aber jetzt hatten sie was zu tun. Sie stampften die Treppe runter und kramten in den Kartons nach Mensch-ärgere-dich-nicht und Monopoly, Spiel des Lebens und einem neuen Jumanji, das sie vielleicht zweimal gespielt hatten, sogar nach einem alten Leiterspiel, das ganz platt gedrückt war.
      «Das ist ein blödes Spiel», sagte Sarah, und obwohl Ella es besser fand als Candyland, pflichtete sie ihr bei. Manchmal hieß Liebe, nicht auf seiner Meinung zu beharren. Sie bewunderte Sarah, während sie sich streckte, um die Splat-Schachtel zurückzustellen, und dachte, alles wäre leichter, wenn auch sie hübsch wäre.
      Aber sie war nicht hübsch. So war es nun mal, da konnte sie nichts machen. Sie konnte sich ohne Brille im Spiegel betrachten und so lange schielen, wie sie wollte, sie würde nie so schön sein wie Sarah - so schön, dass ein einziger Blick Ella dazu bringen konnte, die Hand aufs Herz zu drücken, als läge sie im Sterben. So fühlte es sich auch an, ein Schock und dann ein inneres Verdorren, ein Schwinden ihrer Kraft. Gestern Abend war Sarah im Nachthemd aus dem Bad ins Bett gekommen, ihr Haar frisch gebürstet und auf eine Seite fallend, die Kinnlinie entlang bis zur Brust, und Ella hatte ihr Kissen mit den Händen umklammert, überwältigt von Sarahs tollem Aussehen, davon, wie fern sie in ihrer Perfektion wirkte - nicht unnahbar, sondern unerreichbar, viel besser als Ella, als stammte Sarah von einer anderen Art ab, wie die Models im Fernsehen. Manchmal nahm sie es Sarah übel, dass sie ihr dieses Gefühl gab, aber es war nicht Sarahs Schuld, es war einfach so, und sie kam sich dumm vor, und dann sagte Sarah irgendwas, lachte oder schaute sie bloß an, und schon vergaß Ella alles. Auf diese Momente wartete sie, diese Momente wollte sie nicht zerstören. Wie jetzt, wo sie sich zusammen amüsierten.
      Im Wohnzimmer durchstöberten sie den Korb mit Zeitschriften und die Schubladen der kleinen Tische, fanden Kartenspiele, hässliche Untersetzer und alte Kugelschreiber, sahen sich dann den Kaminsims an, die verkrusteten Batterien, die schweren Schlüsselringe und Schälchen voll Pennys, dunkel wie Schokolade, die große Schachtel Streichhölzer.
      Sarah öffnete die Schachtel und hielt ein Streichholz hoch. «Wetten, dass?»
      «Du was tust?» Zu Hause rührte Ella keine Streichhölzer an, es sei denn, ihre Eltern ließen sie an Weihnachten oder Thanks-giving die Kerzen anzünden, aber selbst dann passten sie die ganze Zeit auf und vergewisserten sich, dass sie Wasser über das abgebrannte Streichholz laufen und es während des Abendessens zur Sicherheit im Spülbecken

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