Abschied von Chautauqua
Wichtigtuerei - all das hatte er geerbt, aber nicht ihre unerbittliche Selbstherrlichkeit, und weil er diese Eigenschaften in ihr wiedererkannte, entschuldigte er sich ständig und stellte seine eigenen Beweggründe und Verhaltensweisen in Frage. Er hätte die Kassiererin nicht erwähnen sollen. Er hatte seiner Mutter nichts erzählen wollen.
Das Gespräch verstummte und wurde wieder aufgenommen, als Arlene mit Rufus zurückkehrte. Ken versuchte ihnen klar zu machen, dass es sich um eine Entführung handelte; warum wurde sonst das FBI eingeschaltet? Hinter der Tür ging die Wasserspülung, als wollte sie ihn widerlegen. Nur Meg bemerkte es. Während seine Mutter und Arlene den jüngsten von der Polizeigewerkschaft ausgelösten Schlamassel in Pittsburgh noch einmal aufwärmten, schlich sich Lise aus dem Bad nach oben. Megs Blick folgte ihr und suchte dann Ken.
«Tja», sagte ihre Mutter schließlich, «das Ganze ist äußerst faszinierend, aber ich brauche meinen Schönheitsschlaf. Denkt an eure Liste für morgen.»
«Ach ja, stimmt.» Ken hatte das völlig vergessen.
Eine allerletzte Frage nach dem Wetter - Regen, beharrte Arlene -, und dann winkte sie mit ihrem Buch und schloss ihre Tür. Er fühlte sich ausgelaugt, als wäre ein langes Spiel zu Ende gegangen. Er überlegte sich, ein Bier zu holen, doch da kam Lise in ihrem großen Tufts-Sweatshirt die Treppe runter und nahm seinen Arm, drückte sich an ihn, um ihm zu zeigen, dass sie keinen BH trug, und lächelte über sein erstauntes Gesicht.
«Wir machen einen Spaziergang», verkündete sie.
«Viel Spaß», sagte Meg.
Draußen machte er den Umweg zur Garage, um die Decke zu holen, doch diesmal nahm er sich vor den Steinplatten in Acht. Der Mond über dem See lugte zu den Fenstern herein, das Gerümpel seines Vaters nur schwarze Haufen. Das Licht in dem kleinen Kühlschrank war kaputt, die Flaschenhälse stießen klirrend zusammen, die Kronkorken bohrten sich in seine Finger.
«Du bist so raffiniert», sagte Lise und trug für ihn die Bierflaschen.
Der Steg bebte unter ihren Füßen. Der Himmel war klar, der See lag ruhig da, und die Lichter des Bootshauses von Midway zogen sich wie Flammen über das dunkle Wasser. Er fragte sich, ob Tracy Ann Caler es diesen Sommer getan hatte, ob sie einen Freund hatte, vielleicht einen Jungen, mit dem sie während der High School gegangen war. Er stellte sich vor, wie die Alarmanlage der Lerners wieder losging, wie die Scheinwerfer auf dem Dach sie wie Sträflinge beim Graben eines Fluchttunnels erstarren ließen. Er wünschte, sie könnten mit dem Boot mitten auf den See hinausfahren und sich einfach treiben lassen, könnten die Sitze umlegen und zu den Sternen hinaufschauen. Sie mussten nicht miteinander schlafen.
Er brauchte sich keine Sorgen zu machen, es war bloß der übliche Verfolgungswahn, den seine Familie bei ihm zum Vorschein brachte. Er vermisste Boston, selbst seinen verdammten Job, das tägliche Gebot, etwas tun zu müssen.
Sie setzten sich auf die Decke, die er vor der Bank ausgebreitet hatte. Er wusste nicht, was er mit seinem Kronkorken anfangen sollte, also steckte Lise beide in die Tasche. Sie küssten sich, und er schmeckte das jetzt warme Bier. Tracy Ann. Trace. Lise drückte seine Schulter, und er legte sich hin. Er öffnete den Kupferknopf ihrer Jeans, während sie sich an seinem Hemd zu schaffen machte. Auch unter der Hose trug sie nichts.
«Es ist schon eine Weile her», sagte sie.
«Ich weiß.»
Sie redeten nicht. Sie kannten sich, und manchmal, wenn sie so lange getrennt gewesen waren, fanden sie heraus, warum sie überhaupt zusammen waren, entdeckten Nerven und Muskeln, an deren Gebrauch sie sich nicht mehr erinnern konnten, und dehnten sie, bis es wehtat. Sie kehrten zueinander zurück.
Danach lag er reglos da, müde, verschwitzt, sein Kopf leer gefegt. Sie lachte, sprang auf.
«Komm!», sagte sie und zog ihn am Arm.
«Was?» Er war Wachs in ihren Händen und fügte sich, schreckte erst zurück, als er sah, dass sie ihn zur Leiter führte. «Nein.»
«Doch. Ich geh vor.»
Ächzend stieg sie die Leiter hinab, ihre Schultern weiß vor dem dunklen Wasser. Sie streckte die Arme hoch. «Komm.»
Der Wind blies durch seinen Körper.
«Du bist verrückt.»
«Und du nicht.»
«Doch », sagte er und stieg hinunter, das Wasser eiskalt an seinen Knöcheln und Schenkeln, «aber bei mir ist es
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