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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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erblich.»
     
     
* 13
     
    Meg wünschte, sie hätte ein Autofenster offen gelassen, doch jetzt konnte sie keins herunterlassen, ohne den Motor zu starten, also stellte sie ihren Sitz zurück, zündete die Pfeife an, und das Gras darin knisterte, wärmte ihre Lunge. Der Rauch türmte sich auf wie Gewitterwolken, beschlug die Windschutzscheibe und löste sich auf. Das war ihre Belohnung dafür, dass sie ihrer Mutter von der Scheidung erzählt hatte, sie würde keine Schuldgefühle haben. Ihr blieben nur noch wenige Vergnügungen. Da wollte sie jetzt keine Schuldgefühle haben.
      Sie würden nochmal drüber reden, da war sich Meg sicher, aber das Schlimmste war überstanden. Sie würde sich die ganze Woche die Ansichten ihrer Mutter anhören und ihre Fragen abwehren müssen, aber das Schwierigste hatte sie hinter sich. Wegen dem Geld würde sie noch nicht ausflippen. Die Neuigkeiten mussten erst verdaut werden, ihre Mutter musste auf sie zukommen. Sie hatte Zeit.
      Sie knipste das Feuerzeug nochmal an, aber die Pfeife war leer. Meg klopfte sie im Aschenbecher aus, legte sich zurück und blickte zu der Kastanie auf, die Blätter schwarz und sich überlappend, zusammengeschlossen zu einem riesigen Schatten mit bogenförmig gezacktem Rand, ein Ungeheuer, das sich über die Garage beugte. Der Baum hatte schon hier gestanden, als sie noch ein kleines Mädchen war, auch die Garage, mit ihrem Modergeruch, den Dachtraufen voller Eichhörnchen. In der Garage gab es wahrscheinlich Sachen, die ihr Vater seit ihrer Geburt nicht mehr angerührt hatte, und der Gedanke machte ihr klar, wie sonderbar es war, dass sie alle ausgerechnet hier, an diesem abgelegenen kleinen See, versammelt waren. Es kam ihr völlig willkürlich vor, wie Planeten, die sich plötzlich hintereinander aufreihen, wie Elektronen, die Moleküle austauschen.
      Ihre Mutter wollte von ihr eine Wunschliste mit fünf Sachen haben, als wäre das Ganze eine Gameshow, eine Lotterie. Sie wollte bloß eins - das konnte sie hier, allein und bekifft, zugeben -, wieder jung sein und nochmal ganz von vorn anfangen: Liebe, Familie, alles. Das hatte ihre Mutter nicht im Angebot, sie hatte bloß Möbel, Andenken, Souvenirs eines anderen Lebens. All das ist vorbei, dachte Meg. Mit dem Sommerhaus konnten sie so tun, als würde das nicht stimmen, aber es stimmte, wie es auch stimmte, dass Jeff nie mehr zu ihr zurückkommen und Sarah sie nie mehr wie ein Kind lieben würde. Die Zeit zerstörte alles.
      «Puff», sagte sie und streckte die Finger ihrer Hand alle gleichzeitig aus, eine langsame Explosion.
      Sie hatte den starken Wunsch, etwas zu trinken, kämpfte aber dagegen an. Anfangs hatte sie die Aufforderung, das Marihuanarauchen beizubehalten, für einen Witz der Anonymen Alkoholiker gehalten, aber es war ihre Rettung. Auch wenn sie niemandem davon erzählen konnte.
      Die Gläser ihres Vaters, die würde sie an die erste Stelle setzen.
      Das Haus selbst. Sie könnte sich hier verkriechen und die Kinder in die örtlichen Schulen schicken. Das würde ihnen gefallen, was? Alle drei ganz allein, ohne Freunde.
      Wie jede Laune löste sich das Ganze in Luft auf, als es mit der Realität zusammentraf. Sie hatte schlicht nur zwei Möglichkeiten : bleiben und das Beste draus machen oder weggehen und nochmal ganz von vorn anfangen.
      Sie leckte sich die Lippen, der Geschmack auf ihrer Zunge überwältigend wie ein scharfes Gewürz. Sie hatte Kaugummi im Handschuhfach. Als sie auf den Knopf drückte, ging hinter den Straßenkarten und Reparaturrechnungen ein Lämpchen an. Der Fußraum war voller Taco Bell-Abfall, der Bus ein heilloses Durcheinander - noch etwas, das gegen sie sprach. Sie hatte keine Zeit gehabt, sich darum zu kümmern. Morgen, dachte sie, sammelte aber schon Argumente gegen solch eine Urlaubsverschwendung. Es würde sowieso regnen.
      Das Kaugummi war alt und hart, aber schließlich breitete sich sein süßer Geschmack in ihrem Mund aus, hinter den burgartigen Zinnen ihrer Zähne, unter ihrer Zunge. Die Familie Wrigley kam nach Chautauqua. Es gab auch einen echten Mr. Hershey, und Meg sah vor sich, wie die beiden im symmetrisch angelegten Garten eines Herrenhauses spazieren gingen, ein Kiesweg zwischen Rosenstöcken, zwei Tycoons um die Jahrhundertwende mit Spazierstöcken und Schwalbenschwänzen. So hätte ihr Leben aussehen sollen. Stattdessen bekiffte sie sich in einem klapprigen Kleinbus, und ihr Mann vögelte in diesem Augenblick

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