Abschied von der Küchenpsychologie
erhalten hatte, und machte ein ungewöhnliches Angebot: Wer sich der Aufgabe, jüdische Kinder und Frauen zu erschießen (die Männer sollten in Arbeitslager deportiert werden), nicht gewachsen fühle, könne vortreten und sich eine andere Aufgabe geben lassen. Nur zwölf von fünfhundert meldeten sich. Einen wichtigen Grund sieht Browning darin, dass es nicht üblich war und als unfair galt, sich zu «drücken» und anderen die «Drecksarbeit» zu überlassen.
Konformitätsdruck gibt es auch in Führungskreisen. Vor allem bei moralisch zweifelhaften Entscheidungen kann das Bemühen um Harmonie und wechselseitige Bestätigung kritisches Abwägen und rechtzeitige Fehlerkorrektur zurückdrängen («groupthink» nach Janis: s.S. 17 ).
Überdies wird auf vielfältige Weise gezielt zum Mitmachen
motiviert
. Schulung und Propaganda verteufeln den Feind, preisen das eigene edle Anliegen und stärken das elitäre Bewusstsein der Kämpfer («Ihr seid auserwählt …»). Hinzu kommen oft materielle Anreize wie gute Bezahlung, Beförderungen und Privilegien oder auch emotionale Anreize wie die Anerkennung und Verehrung im eigenen Lager oder das Versprechen, die Gewalttaten seien gottgefällig und die Tür zum Paradies.
Gewalt
hemmungen
, die in einer direkten Konfrontation mit dem Opfer auftreten könnten, werden erheblich vermindert durch die räumliche Distanz beim Gebrauch von Fernwaffen oder auch durch eine Arbeitsteilung, bei der jeder Einzelne nur noch mit einem kleinen Stück Verantwortung beteiligt ist. So war bei der Ermordung der Juden in den Vernichtungslagern kaum jemand direkt mit der Tötung befasst, sondern mit den Bahntransporten, mit der Sortierung an der Rampe, mit der Lagerbürokratie, mit der Aufsicht usw. Zudem wird die Gewaltausübung mit der Wiederholung immer alltäglicher. Anfänglicher Widerwille schwächt sich ab, Schritt für Schritt gleiten die Täter in eine ganz andere Moral hinein, in der das Vernichten als gute Tat gilt. Harald Welzer beschreibt diese Dynamik an historischen Beispielen.
Die beschriebenen gruppeninternen Einflüsse sind oft so mächtig, dass sie allein das Handeln des Einzelnen hinreichend erklären können, unabhängig von seiner Persönlichkeit und seiner Einstellung zum Gegner. Das heißt: Obwohl das Beziehungsmuster «wir gegen die» ein Grundmerkmal politischer Gewalt ist, spielt doch für viele Akteure Feindseligkeit gegenüber dem Gegner kaum eine Rolle, sondern einzig die Einbettung in die
eigene
Gruppe.
Blick auf die einzelnen Akteure: Arten der Gewaltbereitschaft
Ungeachtet der typischen Gruppenprozesse handeln die betroffenen Personen nicht alle einheitlich. Es gibt Kriegsfreiwillige und es gibt Deserteure, es gibt Politiker, die den Krieg suchen, und andere, die ihn verhindern. Die Ermordung von Juden während des Zweiten Weltkriegs wurde von manchen Wehrmachtsoffizieren eifrig unterstützt und von anderen still sabotiert. Einige Mitglieder des erwähnten Reservebataillons hielten sich aus dem Massaker ganz heraus, weitere schauten an Juden vorbei, die im Versteck hockten.
Die individuellen Aspekte, um die es hier geht, kann man unter dem Begriff der Gewaltbereitschaft zusammenfassen. Es ist ein Sammelbegriff, der zum einen Motive
für
die Gewaltbeteiligung und zum anderen
Gegen
motive bzw. Hemmungen einschließt. Als
Gewaltmotive
kommen, wie erwähnt, nicht nur feindselige Gefühle und Lust am Kämpfen in Frage, sondern auch Motive, die auf Vorteile wie Gewinn, Beachtung und Anerkennung oder auf das Abwenden von Nachteilen gerichtet sind.
Die faktische Gewaltbereitschaft hängt aber nicht nur von den Gewaltmotiven ab. Denn jemand mag z.B. aus Hass zu einer Gewalthandlung motiviert sein und doch zugleich davor zurückscheuen.
Hemmend
wirken vor allem die Angst vor negativen Konsequenzen sowie eine Gewalt ablehnende Einstellung. Die Einstellung zu
politischer
Gewalt ist bei den meisten Menschen nicht einfach akzeptierend oder ablehnend, sondern sie akzeptieren entweder Gewalt zur Bewahrung der bestehenden Ordnung, wie z.B. Polizeieinsätze gegen Unruhen und harte Strafen für Kriminelle, oder aber sie akzeptieren Gewalt zur gesellschaftlichen Veränderung, z.B. Aufruhr oder Attentate auf herrschende Politiker. Es gibt allerdings auch «Krieger», die beides akzeptieren, und Pazifisten, die beides ablehnen. Die Einstellung zu politischer Gewalt ist also eng mit der politischen Einstellung überhaupt verbunden.
Berücksichtigt man sowohl die Motive als auch
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