Abschied von der Küchenpsychologie
Y, sondern
als Angehörige
eines Lagers handeln.
Blick auf den Konflikt zwischen Gruppen: Wir gegen die
Dies ist sozusagen der Blick auf das Gesamtfeld. Politische Gewalt hat immer mit einem Konflikt zwischen Gruppen zu tun: zwischen Völkern, politischen Lagern, religiösen Gruppen usw. Im Erleben der Menschen heißt das: «wir» gegen «die». Selbst ein einzelner Attentäter sieht sich im Dienste einer gesellschaftlichen Gruppe oder Bewegung. (Verübt er das Attentat, um berühmt zu werden, ist es keine politische Gewalt.) Angegriffen wird ebenfalls immer ein Kollektiv; angegriffen werden Menschen nicht als Individuen, sondern als Angehörige eines bestimmten Volkes, einer Staatsmacht, einer Partei usw.
Bei
gegenseitiger
Gewalt, etwa zwischen zwei Staaten oder zwischen Staatsmacht und terroristischen Gruppen, ist es typisch, dass jede Seite den Teufelskreis der Gewalt einseitig und parteiisch bewertet. Was der Gegner tut, ist eine «Aggression», was das eigene Lager tut, ist eine «legitime Verteidigung». Selbst für einseitige Gewalt wie Völkermord und Vertreibung findet sich immer eine Rechtfertigung; in irgendeiner Weise sind die Opfer schuld. Dem Feindbild von der gegnerischen Seite steht gewöhnlich das positive Bild vom eigenen Lager gegenüber. Ohne das positive Selbstbild («Wir Freiheitskämpfer», «wir Diener Gottes» usw.) wäre es nicht möglich, die
eigene
Gewalt, die äußerlich der des Gegner gleicht, ganz anders zu bewerten. Typischerweise wird der Gegner nach seinen
Taten
beurteilt («schändliche Gewalt»), das eigene Lager hingegen nach den guten
Absichten
(«Wir wollen den Frieden»). So ist im politischen Feld die eigene Gewalt praktisch immer «gerechte» Gewalt!
Für den Einzelnen wird es im Konfliktfall oft sehr schwierig, sich keiner Seite zuzuordnen. So wurde im jugoslawischen Bürgerkrieg Anfang der 1990 er Jahre von Betroffenen immer wieder berichtet, früher hätten sie mit den anderen Volksgruppen friedlich zusammengelebt, die ethnische Zugehörigkeit habe keine entscheidende Rolle gespielt. Genau dies änderte sich dann aber durch den Krieg. Jetzt wurde es plötzlich bedeutsam, ob jemand Serbe, Kroate oder Moslem war. Das entschied darüber, wer wo wohnen durfte, für welche Seite man das Gewehr in die Hand nahm, an wen man noch Briefe schrieb usw. Mit der Einfügung in das Wir-die-Muster, ob freiwillig oder erzwungen, handelt man nicht mehr als Person, sondern als Gruppenmitglied, und «die anderen» werden ebenfalls nur noch als Mitglieder der Fremdgruppe gesehen. Kriege sind eine besonders extreme Form des entpersonalisierten, des reinen Inter-Gruppen-Verhaltens.
Ansätze zur
Friedensförderung
auf der Inter-Gruppen-Ebene zentrieren sich vor allem um Begriffe wie Kontakt, Verhandlungen, Vermittlung und Kooperation. Sie beziehen
beide
Lager ein, häufig nur auf der Ebene der politischen Führung, zuweilen auch auf der Ebene der «einfachen Bürger» (Jugendaustausch usw.). Sehr hilfreich für den Abbau von Feindseligkeit und für stabile Beziehungen ist es, wenn die Parteien gemeinsame Interessen erkennen und zum beiderseitigen Vorteil Kooperationen entwickeln (s.S. 242 ).
Blick auf Prozesse innerhalb der Gruppen
Bezieht man hier das Wort «innerhalb» z.B. auf eine ganze Nation oder Religionsgemeinschaft, dann ist auch politische Propaganda im eigenen Lager ein gruppeninterner Einfluss. Bei engerem Fokus geht es um die Prozesse in den Gruppen, die direkt mit der Ausführung der Gewalt zu tun haben.
Diese Gewalt wird gewöhnlich hierarchisch gelenkt, bei Armeen und der Polizei ebenso wie bei Partisanen und terroristischen Gruppen. Der
Befehl
ist der kürzeste Weg, Gewalthandlungen in Gang zu setzen und zu koordinieren. In vielen Fällen ist die Nichtbefolgung des Befehls mit Strafe bedroht. Doch auch unmenschliche Anweisungen, die man gefahrlos zurückweisen könnte und «eigentlich» zurückweisen möchte, werden von den meisten Menschen befolgt, sofern sie sich in einem
Autoritätssystem
befinden (hierzu s.S. 243 ff.) oder sich einem
Konformitätsdruck
ausgesetzt fühlen (s.S. 234 ff.).
Christopher Browning hat den aufschlussreichen Fall eines Massakers an Juden durch ein deutsches Reservebataillon der Hamburger Polizei untersucht. Die Polizisten waren für solche Vernichtungsaktionen weder speziell vorbereitet noch ideologisch geschult, sie waren «ganz normale Männer». Überdies verbarg der Bataillonschef nicht, wie schrecklich er den Befehl fand, den er
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