Abschied von der Küchenpsychologie
sehen
und
hören
und
sprechen
und
schreiben
und
zeichnen
und
vielleicht auch mal Modelle basteln oder sonst etwas tun – vor allem aber nachdenken, um nicht nur Einprägungswissen, sondern auch intelligentes Verständniswissen zu erwerben!
11.2 «Dieses Fach schult das logische Denken»
Was denken Sie: Welches Fach wird hier angepriesen? «Der Wert des XY -Studiums liegt (…) im wissenschaftlichen Herangehen als solchem, im konsequenten Training des Verstandes, der Beobachtungsfähigkeit, der Fähigkeit zum Vergleich und zur Synthese; kurzum: im Aufbau und in der Stärkung des wissenschaftlichen Intellektes.» Da fallen Ihnen vielleicht mehrere Fächer ein; daher gebe ich Ihnen eine Hilfe. Ich habe weggelassen, dass es in dem Zitat auch heißt, der Wert liege «im wissenschaftlichen Studium der Sprache». Welches Fach ist es nun wohl? – Nein, nein! Die amerikanischen Forscher Nathaniel Gage und David Berliner zitieren hier die Aussage eines Landsmannes, und das angepriesene Studium ist erstaunlicherweise Deutsch als Fremdsprache! Schade, dass wir als Deutsch-Muttersprachler von diesen Segnungen nicht profitieren können. Aber natürlich haben wir dafür ja Latein, und da weiß man ja, dass es ähnliche Wirkungen hat. Oder glaubt man es nur?
Ob Latein, Altgriechisch, Deutsch als Fremdsprache, Mathematik oder etwas anderes – weit verbreitet ist jedenfalls die Vorstellung, dass
bestimmte
Fächer für eine
allgemeine
, eine
formale
Geistesschulung besonders geeignet sind, dass sie also «das» logische Denken, «das» analytische Denken oder «das» kreative Denken fördern, was sich dann folglich auch beim Denken über wirtschaftliche, psychologische, technische und andere Fragen positiv bemerkbar machen müsste.
Wie kommt man darauf? Vermutlich steht dahinter die Idee, dass sich «der Verstand» ähnlich kräftigen lässt wie ein Muskel durch Krafttraining, und dass dafür gerade solche Fächer geeignet sind, bei denen die geistige Anstrengung offenkundig scheint. Während die Schüler/innen im Englisch-Unterricht schon bald muntere Dialoge beherrschen, sieht man sie etwa beim Übersetzen lateinischer Texte auch in den höheren Klassen noch über einzelnen Sätzen «brüten». Denn die lateinische Grammatik bringt es mit sich, dass man in kleinen Schritten schlussfolgert, welche Satzelemente in welcher Weise zusammengehören – in diesem Sinne handelt es sich um anstrengendes logisches Denken. So hat es der Verfasser des Eingangszitats offenbar auch beim Erlernen des Deutschen empfunden.
Noch mehr mag die Mathematik aufgrund ihrer unerbittlichen Gesetze als ideale Schulung des logischen Denkens erscheinen, und bekanntlich fordert sie von vielen Menschen ein geradezu abschreckendes Maß an Anstrengung. Doch der Mathematik kann sowieso niemand entkommen, wohingegen Millionen von Schüler/inne/n und Eltern zwischen Latein und einer modernen Fremdsprache zu wählen haben – und das verlangt nach Argumenten. Für Latein werden dann, weil es keine Kommunikationssprache mehr ist, vorwiegend Transferwirkungen ins Feld geführt, die außerhalb des Lateinischen liegen: Latein schule das logische Denken, es erleichtere das Erlernen weiterer Sprachen, es fördere die muttersprachliche Kompetenz. So ist gerade Latein zum Musterbeispiel für die Frage geworden, welche Reichweite ein einzelnes Fach im Kopf eines Lernenden entfalten kann.
Vom speziellen Fach zum allgemeinen Transfer?
Der Glaube an die erwähnten Wirkungen beeinflusst seit Generationen das Fächerangebot des Gymnasiums und die Fächerwahl einzelner Schüler. Aber wer kann auf eine wissenschaftliche Studie verweisen, die die behaupteten Wirkungen belegt? Als Beleg dienen eher subjektive Eindrücke – und natürlich die Tatsache, dass traditionell so viele Menschen daran glauben.
Als Erster hat der Amerikaner Edward Thorndike schon in den 1920 er Jahren in breit angelegten Erhebungen an Schülern der Sekundarstufe untersucht, ob die Entwicklung von Denkfähigkeiten, gemessen durch Intelligenztests, von den Schulfächern abhing. War festzustellen, dass Schüler/innen, zu deren Schwerpunkten z.B. Latein und Altgriechisch gehörten, sich intellektuell mehr steigerten als diejenigen, die Sport und Schauspiel wählten? Klares Ergebnis: Nein. Wie groß die Steigerung war, hing nicht von den Fächern ab, sondern vom Ausgangsniveau der Schüler/innen: Wer schon anfangs gute Denkfähigkeiten bewies, steigerte sich auch am meisten.
Eine jüngere Studie von
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