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Abschied von der Küchenpsychologie

Abschied von der Küchenpsychologie

Titel: Abschied von der Küchenpsychologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Nolting
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Unterscheidung nicht herumkommt: Mit Disziplin kann einerseits ein von anderen auferlegtes Verhalten gemeint sein, also Gehorsam oder Anpassung an einen Gruppendruck, und andererseits ein selbstbestimmtes Verhalten, bei dem man Erwartungen an sich selbst erfüllt, z.B. regelmäßig zu lernen oder wenig Alkohol zu trinken. Man kann mithin grob zwischen Fremddisziplin und Selbstdisziplin unterscheiden, wenngleich es sicher fließende Übergänge gibt. Auf jeden Fall ist die Differenzierung wichtig. Denn wenn man fragt, wie sich Disziplin fördern lässt, muss klar sein,
welche
Disziplin man fördern will.
    Dort, wo es an Disziplin mangelt, erschallt meist der Ruf nach Disziplinierungsmaßnahmen, und das klingt nicht gerade nach Freundlichkeiten. Es klingt eher nach machtvollem «Durchgreifen», Verboten und Bestrafungen. Oder woran sonst wird ein Lehrer denken, wenn man ihn auffordert: «Sorgen Sie für Disziplin!»? Ist denn nicht klar, dass Disziplin auf Disziplinierung angewiesen ist? Wird nicht sein Kollege bestätigen, gegen Unterrichtsstörungen könne man «nur so» etwas ausrichten? Und wenn eine englische «Eliteschule» für strenge Bestrafungen bekannt ist, weckt das nicht bei Eltern die Erwartung: Ja, da lernt mein Kind Disziplin? Auch Bernhard Buebs Buch «Lob der Disziplin», vor wenigen Jahren ein Bestseller, lebt von der begrifflichen Verschmelzung von Disziplin und Disziplinierung und differenziert dabei nicht zwischen Fremddisziplin und Selbstdisziplin.
    Das Erziehungs
ziel
Disziplin scheint also wie selbstverständlich auf Erziehungs
methoden
des Typs Disziplinierung hinauszulaufen. In dieser Vorstellung stecken jedoch zwei Kurzschlüsse. Erster Kurzschluss: Selbstdisziplin lernt man durch Fremddisziplin. Zweiter Kurzschluss: Zur Herbeiführung von Fremddisziplin braucht man Disziplinierungsmaßnahmen. Zusammengenommen heißt das: Ergreife Maßnahmen, die Disziplin erzwingen, daraus wird dann Selbstdisziplin.
    Disziplinierung
→ 
auferlegte (Fremd)-Disziplin
→ 
Selbstdisziplin
    Ist das so? Diese simple Vorstellung geht davon aus, dass Zwang und Strafe den Menschen «formen», dass das erzwungene Verhalten zu einem Teil der Persönlichkeit wird. Aber warum verhalten sich dann Schüler/innen oft so disziplinlos, sobald die disziplinierende Lehrkraft den Raum verlässt? Und wieso werden viele Häftlinge, denen innerhalb des Gefängnisses «gute Führung» attestiert wurde, wieder rückfällig, sobald sie draußen sind? Die Antwort: Weil das Erlernen von Selbstkontrolle etwas anderes ist als das Einhalten von auferlegter Disziplin.
    Es geht also um zwei unterschiedliche Ziele. Sie mögen sich hier und da überschneiden, aber man darf sie pädagogisch nicht gleichsetzen. Um Fremddisziplin zu fördern, gibt es verschiedene Wege, Disziplinierung ist nur einer davon. Um Selbstdisziplin zu fördern, gibt es verschiedene andere Wege. Also:
    Auf verschiedenen Wegen zu
→ 
Fremddisziplin
    Auf verschiedenen anderen Wegen zu
→ 
Selbstdisziplin
    Beginnen wir mit der Fremddisziplin und schauen uns an dem klassischen Beispiel der Schulklasse an, wie Disziplin ohne Disziplinierungen zu erreichen ist. Danach wenden wir uns dem hohen Ziel der Selbstdisziplin zu.
    Fremddisziplin: Das Beispiel Schulklasse
    Jeder kennt das Phänomen aus seiner eigenen Schulzeit: Wenn in einer Schulklasse dienstags nach der dritten Stunde Frau Müller-Thurgau von Herrn Müller-Lüdenscheidt abgelöst wird, ändert sich nicht nur der Lehrstoff, sondern auch die Störungsrate. Dieselben Schüler/innen verhalten sich ganz unterschiedlich, je nachdem, wer gerade unterrichtet.
    Was unterscheidet Lehrer/innen, deren Unterricht diszipliniert abläuft, von denen, die große Disziplinprobleme haben? Ist es typisch, dass sie bei Störungen brüllen und Strafen erteilen? Die Donnerwetter-Methode kann zwar Disziplin erzwingen, aber nötig ist sie nicht. Das beweisen die Lehrkräfte, die ohne Drohungen und Strafen arbeiten und dennoch gute Mitarbeit und geringe Störungen vorweisen können. Was ist ihr Geheimnis?
    Umfangreiche Videostudien im Klassenzimmer, zuerst durch den amerikanischen Forscher Jacob Kounin, machten transparent, worauf es ankommt: Für eine niedrige Störungsrate und gute Mitarbeit ist entscheidend, was sozusagen «vor» potenziellen Störungen geschieht, auf welche Weise man also verhindert, dass sie überhaupt auftreten oder sich ausbreiten. Mit anderen Worten: Auf die Prävention kommt es an, nicht auf die Art der

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