Abschied von der Küchenpsychologie
Vorlesung hält, einen Brief schreibt, eine Examensarbeit verfasst, einen Roman interpretiert oder über der Lösung eines Konfliktes grübelt? Solche Denkarbeiten sind jedem Jogging-Spiel überlegen, weil sie komplexer und lebensnäher sind.
Was ein internationaler Expertenkreis zur Gesunderhaltung des Gehirns sagt
28 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Stanford Center on Longevity, des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin und anderer Institute gaben im Jahre 2009 eine öffentliche Erklärung heraus, in der sie potenzielle Gehirnjogging-Interessenten direkt ansprechen (Auszüge; sinngemäße Übersetzung des Buchautors):
Es hat sich gezeigt, dass Software-gestützte Trainings und «brain games» nur die Leistungen bei den geübten Aufgaben verbessern, aber kaum ein Training Auswirkungen auf den Alltag hat. So mag ein Programm beispielsweise das Behalten von Wortlisten steigern, aber dadurch werden Sie sich kaum besser erinnern, wo Sie Ihren Autoschlüssel abgelegt haben oder zu welcher Uhrzeit Sie Ihre Verabredung haben.
Es gibt keine Nachweise dafür, dass man mit den gegenwärtig angebotenen Softwareprodukten oder anderen Trainingsansätzen Alzheimer oder andere Demenzerkrankungen verzögern oder verhindern kann. Wenn Sie jedoch auf Ihre Gesundheit achten, besonders auf den Blutdruck und den Blutzucker, kann dies auch der geistigen Leistung zugute kommen.
Lernen stimuliert das Gehirn und vermittelt ein Gefühl von Kompetenz. Aber dafür braucht man kein besonderes formales Training. Bevor Sie zu speziellen Methoden greifen und Zeit und Geld investieren, sollten Sie bedenken: Jede Stunde, die Sie alleine mit Software-Übungen verbringen, ist eine Stunde, in der Sie nicht wandern oder Italienisch lernen oder sich ein neues Rezept ausdenken oder mit den Enkeln spielen. Gesellschaftliche Aktivitäten und eigene Hobbys tun dem Kopf ebenfalls gut und sind sozial viel sinnvoller.
Körperliches Training nützt nicht nur der Gesundheit, sondern auch der geistigen Fitness. Denn es fördert die Durchblutung des Gehirns und die Bildung neuer Verbindungen im Nerven- und Adergeflecht.
Der Markt des Gehirnjoggings floriert, und vor allem ältere Menschen werden umworben. Aus diesem Grunde haben sich vor einiger Zeit führende Wissenschaftler an die Öffentlichkeit gewandt, um vor falschen Versprechungen zu warnen und sinnvolle Empfehlungen zu geben (s. Tafel).
11.4 «Auf kleine Klassen kommt es an»
Wenn es um die Verbesserung des schulischen Lernens geht, wird kaum etwas so häufig gefordert wie kleinere Klassen – gefordert von Eltern, Lehrkräften, Schülern. Es scheint ja logisch: Je weniger Schüler/innen in einer Klasse sind, umso mehr Aufmerksamkeit und Förderung kann jedes einzelne Kind von den Lehrkräften bekommen und umso häufiger kann das einzelne Kind im Unterricht «drankommen». Daher könnte man erwarten, dass die Lernleistungen in kleinen Klassen im Schnitt besser sind als in größeren.
Ist die Klassengröße ein wichtiger Faktor?
Es ist erstaunlich, dass empirische Untersuchungen diese weit verbreitete Erwartung kaum bestätigen. Im Vergleich zwischen verschiedenen Ländern, so etwa in der Pisa-Studie 2000 mit 15 -jährigen Schüler/innen, ergab sich keineswegs ein statistischer Zusammenhang zwischen dem Rangplatz eines Landes und der durchschnittlichen Klassengröße in diesem Land. Noch beweiskräftiger ist eine Untersuchung von Michael Rutter u.a., in der nur Sekundarschulen im Innenbereich von London verglichen wurden. Sie unterschieden sich deutlich in ihrem pädagogischen Erfolg innerhalb von fünf Jahren, und zwar sowohl hinsichtlich der durchschnittlichen Leistungen als auch hinsichtlich des sozialen Verhaltens der Schüler/innen. Aber mit der numerischen Lehrer-Schüler-Relation hatte das nichts zu tun. Dabei reichte hier die Spannbreite der durchschnittlichen Klassengröße einer Schule immerhin von 22 bis 30 . Viele weitere Studien erwähnt ein Überblick von Matthias v. Saldern.
Wie sind solche Befunde zu erklären? Können bessere Rahmenbedingungen für eine individuelle Betreuung wirklich völlig verpuffen? Nun, mit den vorgetragenen Befunden ist das Thema «kleine Klassen» nicht völlig vom Tisch. Die Befunde bedeuten ja nicht, dass in kleineren Klassen die Lernleistungen nicht gesteigert werden
könnten
, sondern nur, dass es normalerweise nicht geschieht. Aufschlussreich ist hier ein Experiment, über das die Unterrichtsforscher Helmke und Weinert in
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