Abschied von der Küchenpsychologie
einem großen Überblick zu Faktoren der Schulleistung berichten: Bei insgesamt 62 Schulklassen variierte man die Klassengröße systematisch zwischen 16 , 23 , 30 und 37 Schüler/innen, und zwar in der Weise, dass die gleichen Schüler/innen und die gleichen Lehrkräfte im nachfolgenden Schuljahr eine Klasse anderer Größenordnung bekamen. Ergebnis: Fragte man die Lehrkräfte, so waren sie überzeugt, dass sie in kleineren Klassen individueller unterrichteten, dass die Schüler/innen besser mitarbeiteten usw. Nur: Die wissenschaftlichen Beobachtungen im Klassenzimmer konnten diese Einschätzungen nicht bestätigen. Man stellte vielmehr fest, dass die Lehrer/innen in kleineren Klassen faktisch genauso unterrichteten wie in großen. Auch hingen die Leistungen und die Einstellungen der Schüler/innen zum Unterricht kaum mit der Klassengröße zusammen. Nur beim Vergleich von Klassen mit 16 gegenüber Klassen mit 37 Schüler/innen gab es Effekte in der erwarteten Richtung. Ohne Frage fühlen sich Lehrer/innen in kleineren Klassen weniger belastet als in großen. Aber dass der Unterricht automatisch effektiver wird, trifft nicht zu.
Tatsächlich ist es auch gar nicht so leicht, den Unterrichtsstil zu wechseln und in einer kleinen Klasse plötzlich anders zu unterrichten, als man es gewohnt ist. Vor allem das individuelle Fördern erfordert andere Kompetenzen als der Klassenunterricht. In vielen Ländern, auch in Deutschland, hat dies keine Tradition (etwa verglichen mit skandinavischen Ländern), und die Lehrerausbildung bereitet darauf nur wenig vor. Eine kleinere Klasse bietet zwar bessere Möglichkeiten für die Lernförderung, aber wie gut diese genutzt werden, liegt maßgeblich an den Kompetenzen der jeweiligen Lehrkraft – so wie die einzelnen Lehrkräfte auch unterschiedlich gut mit einer großen Klasse zurechtkommen.
Ob eine kleinere Klasse den Lernerfolg steigert, mag auch von der Art der Lernaktivität abhängen. So könnte z.B. für das mündliche Sprechen im Fremdsprachenunterricht die Klassengröße wichtiger sein als für das Verstehen von grammatischen oder mathematischen Regeln. Doch, wie gesagt, insgesamt ist es viel zu simpel, nur auf die Klassengröße zu schauen und schon von einer Verkleinerung um vier oder fünf Schüler positive Effekte zu erwarten. Allenfalls um solche Größenordnungen kann es aber gehen. Denn eine durchgängige Halbierung der Klassen auf beispielsweise 15 Schüler/innen wäre wegen der gigantischen Kosten reine Utopie.
Das Thema Klassengröße ist erneut ein Beispiel für die alltagspsychologische Tendenz, sich an einem äußeren, leicht wahrnehmbaren Sachverhalt zu orientieren und ihm per se bestimmte Wirkungen zuzuschreiben. Wie schon bei der Berufstätigkeit beider Eltern und anderen Beispielen zu sehen war (vgl. S. 26 und S. 136 ), besagt der äußere Sachverhalt aber wenig. Viel wichtiger ist, was sich in den Menschen und zwischen den Menschen abspielt. Und so, wie es weniger auf die (Nicht-)Berufstätigkeit als auf die Art der Eltern-Kind-Interaktion ankommt, so kommt es auch weniger auf die Klassengröße an als auf die Art der Klassenführung und der Unterrichtsgestaltung. Hierauf werfen wir nun einen kurzen Blick.
Auf die Lehrer kommt es an
Die Klasse 9 a der Johannes-Schule im schwedischen Malmö war nach landesweiten Tests eine der schlechtesten des Landes – eine Klasse, die wohl kaum jemand gerne übernehmen würde. Doch eines Tages bekamen die 20 Schüler/innen neue Lehrkräfte. Sie alle waren regelmäßig durch hervorragende Unterrichtserfolge aufgefallen – es waren sozusagen die besten Lehrer/innen Schwedens. Und die sollten nun versuchen, die 9 a innerhalb von nur fünf Monaten an die Landesspitze zu führen, und zwar vor den Kameras des schwedischen Fernsehens. Wohlgemerkt: Es wurden nur die Lehrkräfte ausgetauscht; weder die Klassengröße, die Arbeitsbedingungen, die Bezahlung noch sonst etwas wurde geändert. Ergebnis: Nach den fünf Monaten war die Klasse zur drittbesten des Landes aufgestiegen, in Mathematik sogar zur besten. Der Mathematiklehrer, selber Migrant aus Zypern, unterrichtete zuvor an einer Schule mit einem Ausländer-«Anteil» von fast 100 Prozent. Für schwache Unterrichtserfolge hätte da jeder Verständnis aufgebracht. Doch Stavros Louca vollbrachte auch hier regelmäßig pädagogische Wunder (nach einem Bericht von Christoph Kucklick).
Das Experiment veranschaulicht in geradezu dramatischer Weise, was in der Forschung
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