Abschied von der Küchenpsychologie
ob es etwa um soziales Verhalten, um Lernverhalten oder gar um Probleme wie Alkoholismus oder Spielsucht geht. Selbstdisziplin kann im einen Fall leicht und im anderen Fall ungemein schwer sein. Beispielsweise gibt es ja Menschen, die sehr diszipliniert arbeiten, aber vom Rauchen nicht loskommen. Auch kann das Erlernen von Selbstdisziplin je nach Temperament eines Menschen leichter oder schwieriger sein. In manchen Fällen sind die Grenzen sicherlich eng gesteckt. Doch prinzipiell ist es möglich, Selbstdisziplin zu fördern.
Bleiben wir zunächst beim
sozialen Verhalten
. Selbstdisziplin bedeutet hier, dass sich ein Mensch fair, rücksichtsvoll oder hilfreich verhält, obwohl ihn weder ein Vorteil noch eine Strafandrohung dazu veranlasst und die Situation eigentlich zu unsozialem Verhalten verlockt. Er richtet sich nach Werten und Normen, die er verinnerlicht, die er «internalisiert» hat. Volkstümlicher formuliert: Er folgt seinem Gewissen.
Wie wird dies gefördert? Der Ausgangspunkt ist zunächst einmal die Existenz von Verhaltenserwartungen in der Umwelt, also von Normen und Regeln. Doch wie werden sie zu einem inneren Kompass? Verschiedene Einflüsse können dabei mitwirken. Ein interessanter Faktor ist die Reaktion der Erziehenden, wenn ein Kind anderen Schaden zugefügt hat. Förderlich für die Gewissensbildung sind
opferbezogene Erklärungen
wie etwa: «Karin ist jetzt traurig, weil du ihren Teddy in die Pfütze geworfen hast.» Nicht förderlich sind hingegen machtvolle Disziplinierung oder Liebesentzug (z.B. für Stunden mit dem Kind nicht reden). Opferbezogene Erklärungen (auch Induktion genannt) lenken die Aufmerksamkeit auf die Folgen, besonders die emotionalen Folgen, die das Fehlverhalten für andere hat. So lernt das Kind, deren Gefühle zu verstehen und im Handeln zu berücksichtigen. Hilfreich für die Internalisierung von Normen ist also nicht die Botschaft: Mama wird wütend, wenn ich mich falsch verhalte, sondern die Botschaft: Achte darauf, wie sich ein anderer Mensch durch dein Verhalten fühlt.
Kann auch das Erziehungsklima in der
Schule
die innere Kontrolle fördern, und zwar so, dass sogar das Verhalten
außerhalb
der Schule positiv beeinflusst wird? In der von Michael Rutter geleiteten Londoner Studie zur Qualität von Schulen (s. auch S. 291 ) wurde unter anderem untersucht, wie häufig Schüler einer Schule wegen delinquenten Verhaltens polizeilich registriert wurden. Das Ergebnis: Erfreulich niedrig war die Zahl solcher Verstöße keineswegs bei jenen Schulen, die sich durch strenge Bestrafungen auszeichneten, sondern bei jenen, die einerseits Wert auf «konsistente Normen» legten, also auf ein schultypisches
Regelwerk
oder Ethos, und andererseits auf einen
freundlichen
Umgangsstil. Typisch für das Erziehungsklima dieser Schulen war weiterhin das
Übertragen von Verantwortung
: Besonders viele Schüler/innen hatten hier irgendein Amt inne: Klassensprecher, Hausaufgabenkontrolleur, Freizeitorganisator usw. (Zu Parallelen beim elterlichen Erziehungsstil s. Kapitel 12.4. ) Die Befunde waren übrigens nicht darauf zurückzuführen, dass manche Schulen eine günstigere Schülerschaft bekommen hatten als andere Schulen; es waren Schuleffekte.
Ein weiterer positiver Einfluss ist selbstverständlich das
Vorbild der Erziehenden
. Dabei bestätigen Forschungen, was die meisten Menschen ohnehin ahnen: Damit positives Verhalten nachgeahmt wird, müssen Reden und Handeln der Erziehungsperson übereinstimmen. Wer das eine predigt und das andere tut, fördert nicht das Akzeptieren sozialer Verhaltensnormen. Vorleben kann man natürlich nicht nur diszipliniertes Sozialverhalten, sondern auch viele andere Varianten von Selbstdisziplin.
Eine der Varianten ist ganz besonders im Kindesalter von großem Interesse, nämlich geduldiges
Warten
und
momentanes Verzichten
zugunsten eines späteren Erfolges oder Vorteils. Solche Selbstdisziplin beruht einerseits darauf, dass man das angestrebte Ziel vor Augen hat, und einen
Handlungsplan
, wie man das Ziel erreicht. Anderseits muss man unpassende Verhaltensimpulse
hemmen
; die innere Selbstanweisung lautet sozusagen: «Jetzt nicht.» Beides kann von Erziehenden gefördert werden: Durch Vormachen, durch Erklärungen, durch positive Bekräftigung (s. das Beispiel Kind im Supermarkt; S. 345 ).
Eine so verstandene Selbstdisziplin ist zweifellos auch ein bedeutsamer Erfolgsfaktor im Bereich des
Lern- und Leistungsverhaltens
. Von Interesse sind dabei
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