Abschied von der Küchenpsychologie
sich danach unterscheiden, über welchen «Eingangskanal» sie am besten lernen: über das Sehen, Hören, Betasten oder Lesen. Das sind drei Sinneskanäle und Lesen als weiterer Kanal. Damit man effektiver lernt, so empfiehlt er, solle man seinen bevorzugten Eingangskanal und damit seinen Lerntyp herausfinden, und zu dessen Ermittlung liefert er den folgenden Behaltenstest gleich mit:
( 1 ) Eingangskanal Lesen: Ein Partner gibt der Testperson zehn Gegenstandswörter zu lesen, die sie sich jeweils zwei Sekunden anschauen kann (Handtuch – Klavier – Fingerhut …).
( 2 ) Eingangskanal Hören: Der Partner liest zehn andere Gegenstandswörter laut und deutlich im Abstand von zwei Sekunden vor (Dose – Pantoffel – Teppich …).
( 3 ) Eingangskanal Sehen: Der Partner legt der Testperson zehn Haushaltsgegenstände im Abstand von zwei Sekunden nacheinander auf den Tisch (Waschlappen – Schlüssel – Heft …)
( 4 ) Eingangskanal Anfassen: Der Partner verbindet der Testperson die Augen und legt ihr alle zwei Sekunden zehn Gegenstände in die Hand (Brille – Gabel – Zahnbürste …).
Nach jedem Durchgang bekommt die Testperson jeweils 30 Sekunden lang Aufgaben zum Kopfrechnen und soll dann in 20 Sekunden zeigen, wie viele Wörter bzw. Gegenstände sie behalten hat. Von Interesse ist nun, ob es dabei Unterschiede zwischen den vier Durchgängen gibt. Vesters entscheidende Aussage lautet: «Jede Abweichung in eine Richtung bedeutet eine Bevorzugung des betreffenden Eingangskanals.»
Nun also die Frage: Was wäre an diesem Test zu bemängeln? Ist das nicht alles einleuchtend und sorgfältig durchdacht? Die Antwort: Nach bloßem Augenschein kann man den Test nicht hinreichend beurteilen. Der entscheidende Mangel (den Laien nicht erkennen können) ist, dass er überhaupt nicht erprobt und auf seine Qualität getestet wurde. Wenn man weiß, worauf es bei einer solchen Qualitätsprüfung ankommt, wird man allerdings bezweifeln, dass der Test dabei gut abschneiden würde. Wie würde die Prüfung aussehen?
Tests auf dem Prüfstand
Auch versierte Psychologen können nach bloßem Augenschein kein sicheres Urteil über einen Test fällen, ebenso wenig können sie aus freier Intuition ein diagnostisches Verfahren konstruieren. Tests müssen getestet werden! Ein seriöser standardisierter Test entsteht in einem
jahrelangen Entwicklungsprozess
mit einer ausgiebigen Erprobung. (Einen solchen Aufwand können sich Psychotests in Unterhaltungsblättern natürlich nicht leisten.)
Alles, was die Testentwickler in der Erprobungsphase herausfinden, müssen sie in einem Testbegleitbuch veröffentlichen, sodass sich die Testanwender über die Stärken, aber auch über die Grenzen des Tests informieren können. Bei der Beurteilung der Qualität eines Tests stehen drei sog. Gütekriterien im Vordergrund.
Das erste ist die
Objektivität
: Sind die Testbefunde
unabhängig von der untersuchenden Person
? Bei der Testanwendung sollte in der Hand von Untersucher A dasselbe Ergebnis herauskommen wie in der Hand von Untersucher B: Objektivität = intersubjektive Übereinstimmung. Es darf nicht so laufen wie oftmals bei Schulnoten oder Examensprüfungen, dass nämlich derselbe Aufsatz oder dieselbe Mathearbeit von A anders bewertet wird als von B. Hundertprozentig gelingt das auch bei vielen Tests nicht. Bei der Durchführung, bei der Auswertung und bei der Interpretation der Befunde gibt es manchmal Spielraum. Die Übereinstimmung mehrerer Untersucher muss jedoch ziemlich hoch sein, und wie hoch sie tatsächlich ist, das wird in der Erprobungsphase ermittelt und durch einen statistischen Kennwert angegeben.
Im Beispiel von Vesters Lerntypentest geschieht dies nicht. So wissen wir nicht, ob die Behaltensleistungen beispielsweise auch davon abhängen, wie exakt der als Tester agierende Helfer den Zwei-Sekunden-Takt einhält oder mit welchen Betonungen er im Durchgang «Hören» die Wörter vorliest. Wahrscheinlich sind Probleme mit der Objektivität hier aber nicht so groß wie mit dem zweiten Gütekriterium:
Wie
z
uverlässig sind die Messungen
, im Fachterminus: Wie hoch ist die
Reliabilität
? Zuverlässig heißt: Der Testbefund soll keinen zufälligen Schwankungen unterliegen. Das Problem kennt man von Prüfungen, bei denen das Ergebnis z.B. von Missverständnissen im Prüfungsgespräch oder von den zufällig «drangekommenen» Fragen abhängt, ganz abgesehen von der Tagesform des Prüflings. So verlässlich wie bei einer
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