Abschied von der Küchenpsychologie
sollten die einzelnen Aufgaben gut zwischen schwachen Testpersonen (= niedriger Gesamtwert) und starken Testpersonen (= hoher Gesamtwert) differenzieren. Wenn eine Aufgabe gleichermaßen von allen gelöst wird oder von niemandem, ist sie nicht «trennscharf» und daher ungeeignet. All dies wird in Vorstudien untersucht.
Zu einem standardisierten Test gehört weiterhin eine
Eichung
bzw.
Normierung.
Man muss wissen, wie sich die Testergebnisse in einer größeren Stichprobe verteilen, um den Befund einer einzelnen Testperson einordnen zu können (s. das Beispiel der IQ -Verteilung auf S. 150 ). Sonst erkennt man ja nicht, ob das Ergebnis von Person XY eine starke oder eine schwache Leistung ist oder ob es eine hohe oder geringe Ängstlichkeit anzeigt. Die Vergleichsgruppe ist manchmal die Gesamtbevölkerung, manchmal auch nur eine spezielle Gruppe, so etwa 15 -jährige Schülerinnen und Schüler, wie in der Pisa-Studie.
Gerade an diesem Beispiel lässt sich gut illustrieren, wie schwer es ist, ohne statistische Normen die Leistungen Einzelner einzuschätzen. So zeigte sich nämlich in Pisa 2000 , dass etwa zehn Prozent der Schüler/innen noch nicht einmal das unterste Niveau der Lesekompetenz erreichten. Fragte man jedoch in den Hauptschulen die Lehrer/innen, so stuften sie die allermeisten ihrer Schüler/innen, die so schlecht abgeschnitten hatten, gar nicht als leseschwach ein. Es fehlte ihnen offenbar ein übergreifender Maßstab. Lehrer/innen können zwar innerhalb einer Klasse ihre Schüler/innen recht gut nach der Lesekompetenz in eine Rangordnung bringen. Doch haben sie als Vergleichsgruppe nicht die Gesamtheit aller 15 -Jährigen quer durch alle Schultypen vor Augen. Solche übergreifenden Normen sind eben ein wesentlicher Vorteil standardisierter Tests.
In Vesters Lerntypentest fehlen übrigens jegliche Normen zu den Behaltensleistungen bei den vier «Kanälen». Da dies nicht an einer größeren Stichprobe untersucht wurde, bleibt völlig unklar, ob beispielsweise die für das Sehen ausgewählten Gegenstände leichter zu merken sind als die für das Betasten, und ob nicht überhaupt für fast alle Menschen eine der Varianten die leichteste ist und insofern gar nichts über eine
individuelle
«Bevorzugung eines Eingangskanals» aussagt.
Zum Schluss noch der Hinweis auf ein weiteres Merkmal guter Diagnostik, das erst
nach
der Durchführung eines Tests zur Geltung kommt: Wird der Test unter der Regie von Experten absolviert, können diese die Befunde in der Regel interpretieren und relativieren, gegebenenfalls durch Hinzunahme weiterer Verfahren. Laien, die mit einem «handgestrickten» Test alleine gelassen sind, haben diese Möglichkeit nicht. Auch wenn sie selbst sehr sorgfältig vorgehen, bleibt doch das schwierige Problem einer angemessenen Interpretation der Befunde bestehen.
8.6 Psychotherapie: die Vielfalt der Hilfen
Ist Psychotherapie eine Methode, bei der sich ein Mensch auf eine Couch legt und dem hinter ihm sitzenden Therapeuten seine Träume erzählt? So kann es zwar sein und so begann es auch, aber dieses Arrangement ist keineswegs typisch für «die» heutige Psychotherapie. Psychotherapie ist ein Sammelbegriff für alle Behandlungsformen, die psychische Störungen mit psychologischen (statt medizinischen) Mitteln zu heilen versuchen. Auch bei manchen organischen Störungen wird Psychotherapie ergänzend eingesetzt.
Anders als bei vielen medizinischen Behandlungen kann man in einer Psychotherapie nicht einfach passiv «behandelt werden». Vielmehr spielen die Patienten immer eine aktive Rolle, etwa indem sie über ihr Erleben und Verhalten reflektieren, indem sie ihre Gefühle und Gedanken mitteilen, oder indem sie neue Verhaltensweisen einüben. Insofern ist Psychotherapie letztlich eine Hilfe zur Selbsthilfe. Psychotherapie kann anstrengende Arbeit sein und auch nur Erfolg haben, wenn die Patientin bzw. der Patient wirklich selbst motiviert ist und nicht lediglich von anderen «geschickt» wurde.
Anlässe für eine psychotherapeutische Behandlung können unter anderem sein: Ängste, Depressionen, gewalttätiges Verhalten, Suchtprobleme, Lernstörungen, psychosomatische Erkrankungen. Bei Problemen wie z.B. Migräne, chronischen Schmerzen oder Tinnitus kann Psychotherapie eine medizinische Behandlung unterstützen. Vor einer Psychotherapie muss eine medizinische Untersuchung klären, ob die Störung nicht rein organisch bedingt ist. Psychotherapie gibt es für alle Altersgruppen, auch
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