Abschied von der Küchenpsychologie
beide gemeinsam betroffen sind, hat hier nur eine Person das Problem. Ihr zu helfen, heißt daher zunächst einmal: sich in sie einfühlen und mit ihr mitdenken. Nehmen wir an, die Frau aus dem Ehestreit wendet sich an eine gute Freundin. Als aktive Zuhörerin würde diese aus den Aussagen der Ratsuchenden deren Empfindungen zu erspüren suchen, beispielsweise so:
«Mein Mann braust immer sofort auf.»
Helfende Freundin:
«Da traust du dich kaum, was Kritisches zu sagen.»
«Ja, ich trage das dann mit mir rum. Vielleicht bin ich einfach zu empfindlich.»
Freundin:
«Wie meinst du das? Dass du dich zu schnell verletzt fühlst oder wie?»
«Nein, Ich meine eher: Ich bin dann mutlos und gebe auf.»
Freundin:
«Eigentlich möchtest du gerne durchhalten und deine Meinung sagen.»
«Ja, schon. Aber so, dass ich weniger Angst habe. Manchmal stelle ich mir vor, dass ich verreise und ihm einen Brief schreibe. Aber das ist nur so eine Idee.»
Freundin:
«Du spielst mit dem Gedanken, aber dazu kannst du dich noch nicht entschließen.»
«Nein, vielleicht später. Aber vielleicht könnte ich schon mal sagen, dass ich mir mehr gemeinsame Aktivitäten wünsche.»
Freundin:
«Woran denkst du da zum Beispiel?»
Es kommt nicht auf jede Formulierung an. Insgesamt sollte aber das Bemühen um gutes Mitdenken, Einfühlen und Anteilnehmen spürbar sein. Gewöhnlich trägt das aktive Zuhören dazu bei, ein Kuddelmuddel aus unterschiedlichen Gefühlen, Wünschen, Zweifeln etc. schrittweise zu entwirren. Denn meistens ist es ja nicht so, dass die betroffene Person ihr Problem genau kennt und über ihr Inneres einfach so berichten könnte wie über eine Autopanne. Auch dann, wenn sie über abwesende Personen spricht (wie hier am Anfang des Beispiels: «Mein Mann …»), konzentriert man sich als aktiver Zuhörer zunächst darauf, was diese Aussage für das Empfinden des Gesprächspartners bedeutet («Da traust du dich kaum …»).
Natürlich spricht nichts dagegen, auch eigene Gedanken einzubringen, solange man immer schaut, ob der Betroffene dafür empfänglich ist, sie also aufgreift. Wenig sinnvoll ist es, den Gesprächspartner von etwas überzeugen zu wollen, was ihm emotional widerstrebt. Immer wieder sollte man also zum subjektiven Erleben zurückkehren. Was nützt es zu sagen: «Ich finde, du müsstest deinem Mann klarmachen, dass …», wenn die betroffene Frau zu viel Angst davor hat. Dann ist es besser, über die Angst zu sprechen. Kurz gesagt: Einfühlen statt einreden. Natürlich, soweit das Problem auf mangelndem Wissen beruht, können Informationen und Ratschläge durchaus helfen. Aber sie gehen ins Leere, wenn nicht ein Wissensdefizit, sondern ein Gefühlsproblem vorliegt.
Manchmal hört man den Einwand: Was nützt es dem Betroffenen, wenn ich «wiederhole», was er gesagt hat? Die Beispiele sollten deutlich machen, dass es nicht um ein echohaftes Wiederholen geht, sondern um das Erfassen und Aufgreifen von Selbstkundgabe-Botschaften. Der Nutzen kann vielfältig sein: Aktives Zuhören sichert genaues inhaltliches Verstehen; es vermittelt dem Gegenüber das Gefühl, verstanden und ernst genommen zu werden; es ermuntert zum Weitersprechen; und es gibt Impulse zur tieferen Selbstklärung.
Dabei allein muss es aber nicht bleiben. Ein einfühlsames Gespräch ist sicherlich ein guter Anfang. Es kann dem Ratsuchenden Erleichterung verschaffen und Entscheidungsprozesse anbahnen. Aber häufig braucht man noch andere Wege. Einige kommen an anderen Stellen dieses Buchs zur Sprache, etwa in Kapitel 5 (Anwendung «mit System») und in speziellen Themen der Kapitel 7 bis 12 .
10.2 Gruppendynamik: Mitmachen, dazugehören
Ob bei der Arbeit, in der Schulklasse, im Gesangverein, im Fußballstadion, in einer Wahlkampfveranstaltung – wir stehen nicht nur einzelnen Menschen im Zwiegespräch gegenüber, sondern oftmals vielen anderen. Mit manchen bilden wir eine beständige Gruppe, anderen begegnen wir nur in einer vorübergehenden Ansammlung.
Tun, was die andern tun
Diese Schätzaufgabe mag Ihnen ziemlich dumm erscheinen: Welche der drei Linien 1 , 2 oder 3 in der Tafel ist so lang wie die Linie A? In einem bekannten Experiment von Solomon Asch sagte ein großer Teil der Versuchspersonen: Linie 3 . Wie war das möglich? Stellen Sie sich vor, Sie nehmen an einer ‹Wahrnehmungsstudie› teil und sitzen gemeinsam mit anderen an einem Tisch; Sie sind die Nr. 6 von sieben Teilnehmern. Es kommen nun mehrere Aufgaben zum
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