Abschied von der Küchenpsychologie
Mitgliedern wird eben ein gruppenkonformes Verhalten
erwartet
, und sollten sie davon abweichen, werden sie möglicherweise bestraft, als Nestbeschmutzer beschimpft oder verjagt.
Wie empfänglich sind Menschen für Zugehörigkeiten? Wie deutlich muss die Zugehörigkeit sein, damit man anfängt, nicht einfach als Individuum, sondern als Angehöriger einer Gruppe zu denken und zu handeln? Das beginnt nicht erst, wenn man aus eigener Entscheidung einem Verein beitritt oder sich einer politischen Bewegung anschließt, sondern bereits unter erstaunlich läppischen und zufälligen Bedingungen. Es beginnt bereits, wenn z.B. anhand einer Schätzaufgabe («Wie viel Bier trinkt der Deutsche im Durchschnitt?») Personen in die Kategorien «Überschätzer» und «Unterschätzer» eingeteilt werden. Schon unter solch minimalen Bedingungen entsteht eine leichte Tendenz, die «eigenen Leute» gegenüber den anderen zu begünstigen, etwa beim Verteilen von Bonuspunkten. Diese Tendenz zur Bevorzugung eigener «Mitglieder» zeigte sich in Experimenten von Henri Tajfel sogar dann, wenn diese «Mitglieder» lediglich anonym als «Nummer 7 von Gruppe A» auf dem Papier existierten. Die bloße Gemeinsamkeit «Der gehört wie ich auch zu A» reichte aus, die Bevorzugungstendenz wachzurufen.
Anders als unter den geschilderten Minimalbedingungen sind es im Leben normalerweise sehr handfeste Faktoren, die die Einteilung in «wir» und «die» hervorrufen, z.B. die räumliche Nähe. So führte in Sherifs Ferienlager (s.S. 199 ) die Aufteilung auf zwei Hütten sehr schnell zu einem Wir-Gefühl auf beiden Seiten. Als Zeichen der Zusammengehörigkeit gaben sich die Bewohner der einen Hütte den Namen «Red Devils». Die da drüben, so dachten sie, haben es bestimmt nicht so schön wir. «Die da drüben» nannten sich inzwischen «Bulldogs» und waren selbstverständlich überzeugt, dass es ein Glück war, gerade zu dieser Gruppe zu gehören.
Menschen möchten sich also sozial zuordnen. Und so richtig schön wird die Zugehörigkeit durch das Gefühl, selber einer wertvolleren Kategorie anzugehören als andere Menschen. Denn das bedeutet: Ich bin etwas wert, weil ich ein XY bin. Viele Gruppen fühlen sich anderen in irgendeiner Hinsicht überlegen, wenn nicht in den Leistungen, dann vielleicht in den moralischen Vorstellungen oder religiösen Überzeugungen. Dieser Selbstaufwertung dient auch die Abwertung anderer Gruppen. Und manchmal mündet das in einen verhängnisvollen Glauben an die Höherwertigkeit und gar einen Herrschaftsauftrag der eigenen Nationalität, Rasse oder Religion.
Feindseligkeiten zwischen konkurrierenden Gruppen lassen sich, wie in dem Ferienlager-Experiment demonstriert, entschärfen, wenn es gelingt,
gemeinsame
Ziele oder Bedrohungen zu entdecken, für die sich eine Zusammenarbeit lohnt – zum Vorteil beider Seiten. In gewisser Weise entsteht damit ein erweitertes «Wir», im politischen Feld z.B. «Wir Europäer» statt «Wir Deutschen», «Wir Polen» usw. Aber irgendwelche «Die» wird es immer noch geben. Und grundsätzlich ist die Neigung, die Menschheit einzuteilen und die eigene Wir-Gruppe zu bevorzugen, wohl kaum aus der Welt zu schaffen, auch wenn das nicht mit Feindseligkeit verbunden sein muss.
10.3 Autorität und Gehorsam – unvermeidlich, zuweilen gefährlich
Die Krankenschwester war abends allein auf der Station, als das Telefon klingelte. Es meldete sich ein Dr. Hanford aus der Psychiatrie, dem sie bislang noch nicht begegnet war: «Ich kümmere mich heute um Mr. Carson und komme gleich noch mal rüber. Können Sie eben schauen, ob Sie Astroten im Schrank haben?» – «Was bitte?» – «Astroten» – «Hab ich noch nie gesehen, aber ich schaue nach.» – Tatsächlich fand die Schwester das Medikament: ‹Astroten. Normale Dosis: 5 mg. Maximale Tagesdosis: 10 mg›. – Wieder am Telefon: «Ja, doch. Ich hab’s gefunden» – Dr. Hanford: «Gut, dann geben Sie Mr. Carson bitte 20 Milligramm, also vier Tabletten. Ich zeichne das gleich ab. Ich möchte nur, dass das Medikament schon wirkt, wenn ich in zehn Minuten komme.»
Würde die Schwester die verlangte Dosis verabreichen? In der Ausbildung hatte sie gelernt, dass sie in solchen Fällen widersprechen müsse und dass sie Medikamente nur nach einer schriftlichen Anweisung verabreichen dürfe. Und so lauteten denn auch die Antworten in einer
Befragung
: Die Untersucher um Charles Hofling baten Krankenschwestern, sich eine solche
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