Abschied Von Freistatt
sagte er. »Savankala hat viel riskiert, um uns dieses Juwel in die Hände zu geben. Es ist ohne die angemessenen Weihen unterwegs gewesen. Solange es nicht sicher in seinem Tempel angebracht ist, ist er halbblind.« Er berührte Daphnes Arm, als wären sie beide enge Freunde, was die Prinzessin entschieden abgestritten hätte. »Es ist genauso, wie ich es jüngst vermutete. Einer nach dem anderen wenden sich die Götter ab von Ranke.«
»Aber warum kann sie nicht sprechen?« fragte Dayrne. »Was hat das Juwel damit zu tun?«
Chenaya biß sich auf die Lippe, und der Griffel blieb reglos über der Wachsplatte, obwohl ihr Blick sie alle anzuflehen schien.
Schließlich legte Daphne den Kopf schief und zuckte mit den Schultern. »Ein Mädchen muß ihre Geheimnisse haben.« Sie ging zu Chenaya und nahm sie beim Arm. »Wir wollen inzwischen ein wenig Hausputz machen und dafür sorgen, daß du etwas in den Magen bekommst, während Rashan seine Vorbereitungen trifft«, fuhr sie mit dem ihr eigenen Sarkasmus fort. »Wie ich die Priester kenne, wird etwas so Wichtiges mindestens eine Woche dauern.«
Chenaya wirkte sichtlich verängstigt. Verzweifelt kritzelte sie das Wort morgen auf die Tafel. Sonst nichts, aber sie schrieb es noch einmal mit Nachdruck. Morgen!
Eine Platte mit kaltem Schweinebraten, die beiden Rüben und ein wenig Käse und Brot belebten Chenaya beachtlich. Der Krug Milch mit einem Schuß bernsteinfarbenem Vuskebah, einem sehr teuren Likör, tat ihr noch besser. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal gegessen hatte. Irgendwann in Ranke, vor dem Diebstahl des Kleinods. Kaum befand es sich in ihrem Besitz, war sie scharf geritten, den ganzen Weg nach Freistatt, hatte ein Pferd fast zuschanden geritten und alle Ansiedlungen unterwegs gemieden und nur am abseits gelegenen Anwesen eines Edelmanns haltgemacht, gerade lange genug, um dort ein neues Pferd zu kaufen. Da war keine Zeit zu essen und kaum genug Zeit zu trinken gewesen.
Eine Dienerin hatte auf Daphnes Befehl Essen in Chenayas Gemächer gebracht, worüber Chenaya verwundert war. Außer Tante Rosanda, Daphne und ihr selbst hatte es in Landende nie Frauen gegeben. Daphne mußte das offensichtlich geändert haben. Im Anwesen lebten nun über hundert Männer. Jemand wurde gebraucht, sich um die schmutzige Wäsche zu kümmern, zu kochen und die Einkäufe zu erledigen.
Daphne hatte flüchtig erwähnt, daß sie während Chenayas Abwesenheit Anteil am Geschick der armen Frauen genommen hatte, die ihre Körper im Himmlischen Versprechen für ein paar Münzen verkauften, um ihre Kinder zu ernähren und ein schäbiges Dach über dem Kopf zu haben. Mit ihrem eigenen Geld, das Dank ihrer Abfindung vom Prinzen nicht knapp war, hatte sie einige dieser Frauen in ihre Dienste genommen, sie aus dem Park geholt und ihnen anständige Arbeit als Hausgehilfinnen gegeben.
Chenaya gedachte nicht, Einwände zu erheben. Zwei dieser Frauen hatten sie soeben gebadet, mit weichen Handtüchern abgetrocknet und ihr das zerzauste Haar gekämmt. Sie fühlte sich so gut wie schon seit Tagen nicht mehr, als sie sich einen sauberen weißen Chiton überstreifte, den breiten Ledergürtel anlegte und sich ein Paar Sandalen umband. Nachdem das geschehen war, befestigte sie ihr Schwert am Gürtel und hängte sich wieder den kleinen Beutel mit dem Brillanten um den Hals.
Wohlgenährt und frisch gekleidet machte sie sich daran, ihre Gemächer zu verlassen. Nahe an der Türe jedoch hing ihr Porträt, das Lalo, der Maler, geschaffen hatte. Sie blieb davor stehen, fühlte die geheimnisvolle Hitze, die es ausstrahlte, und starrte auf das idealisierte Bildnis ihres Gesichtes mit dem glänzenden blonden Haar, das nach oben wehte und zur Flamme wurde. Dieses Porträt hatte sie halb wahnsinnig aus
Freistatt getrieben, ja, dieses Bild und das sehr unerfreuliche Ende der Geschichte mit Zip und der VFBF.
Nur daß es nicht wirklich ein Ende gewesen war. Sie hatte sich in Zip verliebt, als sie ihre Falle für die Vobfs ausgelegt hatte, und anstatt ihn zu töten, wie sie es hätte tun sollen, hatte sie ihn nur gefangengenommen und Walegrin übergeben. Die Wege der Politiker Freistatts waren jedoch verschlungen, und kurz nachdem sie Freistatt verlassen hatte, war Zip entlassen und zu einem der militärischen Befehlshaber der Stadt neben Walegrin und Critias ernannt worden.* Zweifelsohne hatte sie das Onkel Molin zu verdanken. Und Kadakithis, einst ihr Lieblingsvetter, war daran
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